Selbst habe ich immer gewarnt vor zu schnellem Gebrauch nicht-hintergehbarer Begriffe, Faschismus, Nazi, Stalinisten…Wenn man sie anwendet, dann entsteht eine Leere dahinter, die oft nicht mehr mit Worten, mit Begriffen, fortgesetzt werden kann, sondern nur mit Handlungen, mit aggressiver Politik, mit Gewalt.
Es gibt jedoch Anlässe, diese Begriffe zu schärfen, sie überprüft und mit Adjektiven versehen, zu gebrauchen.
Meine These ist, dass ein globaler Faschismus sich ausbreitet, nicht nur in Europa.
(Wenn Putin die Nazi-Variante gebraucht, lenkt er so von sich ab, wie andere Diktatoren sich versteigen, indem sie sich selbst mit den Grundbegriffen, freier Gesellschaften schmücken, vor allem mit Demokratie und Freiheit). Den Sprachkurs machen wir außerhalb dieses Blogs.
Es gibt in allen Gesellschaften faschistische Aktivitäten und Ideologien. Aber in den meisten demokratischen Gesellschaften werden sie in Schach gehalten, isoliert, aufgelöst, – ungeachtet der Tatsache ihrer Regeneration. Die Schwächen der Demokratie sind u.a., dass sie in der Wahl der Mittel nicht zuvorderst die Gewalt und die Einschüchterung wählen können und dürfen, was den Diktaturen immer einen soliden Standpunkt verleiht.
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Im Iran wird die Todesstrafe demonstrativ exekutiert. Zu Recht wird das kritisiert.
Zeitgleich gibt es Hinrichtungen im US Justizsystem, die kaum Erwähnung finden, obwohl ihre Anlässe auch nicht rechtsstaatlich sind, wenn man schon die Todesstrafe nicht generell als unmenschlich ablehnt.
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Auch wenn der Faschismus in den USA auf dem Vormarsch ist, herrscht dort kein faschistisches „System“. Aber es herrscht neben Russland und China innerhalb der EU, deutlich in Ungarn, und im Wachsen in Italien, Schweden, auf dem Balkan. „Rechtskonservativ“ ist dann die nette Vokabel der Medien. Ob diese Länder faschistisch werden, kommt darauf, welche roten Linien die Demokratien in ihren Beziehungen ziehen.
Das ist bei Israel nach der Regierungsbildung nicht mehr möglich. Faschisten sind in diesem Staat an der Regierung maßgeblich beteiligt. Jetzt müsste man darüber diskutieren, wieweit das mit einem jüdischen Staat vereinbar ist, und wieweit das die Demokratie nachhaltig ausschaltet. Ich nehme das Beispiel, weil ich, jüdisch, nicht schon deshalb und aus der Kritik heraus die Politik und Praxis der Hamas und anderer arabischer Gruppen in einem milderen Licht sehe oder relativiere. Faschistische Bewegungen sind nicht homogen und befreundet zu einander, das waren sie nicht bei Dollfuss und Hitler, das sind die NATO-Staaten nicht gegenüber der Türkei etc.
Also sollten wir den Begriff nicht unerklärt und verdeutlicht gebrauchen. Aber ihn auch nicht verharmlosen.
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Mein Problem mit dem Begriff des Antifaschismus ist noch größer, weil sich Faschismus ziemlich genau bestimmen lässt, während der Anti-F zu einem volatilen Instrument der Selbstbestätigung wurde und wird, keineswegs nur in der DDR und im realen Sozialismus. Zu all dem gibt es unendlich viel Literatur, von sehr gut bis unbrauchbar, aber wo die antifaschistischen Wahrheiten verkündet werden, ist es noch ein weiter Weg zur Bekämpfung der Wirklichkeit des Faschismus. Diese Wirklichkeit findet sich heute – tatsächlich: heute, in diesen Tagen – in der Begründung vieler Politiker, Medien und Stammtische gegen die Angriffe auf Staatsorgane in der Silvesternacht, wo es mehr gegen die ethnische Herkunft als gegen die soziokulturellen Ursachen von Gewaltbereitschaft und mangelndem Respekt vor staatlichen Institutionen geht.
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Die ungleich verteilte Toleranz auch demokratischer Regierungen, Staatsorgane und Meinungsbildung mit faschistischen und faschistoiden Wirklichkeiten ist immer auch ein Hinweis auf Schwachstellen in der eigenen Demokratie.
Die Strafjustiz ist ein meist ungeeignetes und wirkungsarmes Mittel, durch Bestrafung von Tätern die Ursachen und Versäumnisse des Staates und der Zivilgesellschaft gegenüber der Jungen Generation, gegenüber Migrantengruppen etc. zu vernebeln. (Das Strafrecht gilt ohnedies). Aber die soziokulturellen Verbesserungen der Politik gegenüber dieser großen und nicht hinreichend betreuten und geschützten Gruppen unserer Bevölkerung helfen der Demokratie mehr als das Geblöke des Fremdenfeindes Söder, der erst einmal in Deutschland ankommen soll. Dazu gehört im übrigen auch, keine übertriebene Rücksicht gegenüber dem religiösen Hintergrund von Gewalttätern zu üben. Religion ist oft nur ein besonders wirksames Mittel gegen Demokratie, wie nicht nur Kyrill und der betende Putin beweisen, sondern auch Teile unserer Glaubensheuchler…aber das ist ein anderes Kapitel.
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Die globalen Angriffe auf die Demokratie sind nicht einfach ein Phänomen Rechts gegen Links. Demokratie wird oft hinderlich und unwirksam erachtet, wenn es um die Lösung von echten oder vermeintlichen Problemen geht. Oft ist die Kritik aus dem faschistischen Lager gegenüber den Erscheinungen der Schwäche gar nicht falsch, wohl aber die fast fanatische Verweigerung gegenüber demokratischer Fehlerbehebung.
Diesem Satz haben sich viele widersetzt, weil er zu undeutlich scheint. Also: natürlich – selbstverständlich – haben alle politischen Gruppierungen, auch Nazis, Faschisten, Stalinisten usw., selbst wenn sie entsetzlich waren und sind, nicht nur „Falsches“ gesagt und getan. Dass es falsch war, ergibt sich aus dem Kontext und den Handlungen. Konkret: Natürlich kann die AfD, manchmal auch die Linkspartei, kritische oder fehlerhafte Handlungen der demokratischen Regierung und Opposition nachvollziehbar benennen, ohne Rücksicht auf Gefolgschaft und Klientel. Aber die Verweigerung, Abhilfe mit den Mitteln der Demokratie zu schaffen, macht die Kritik fragwürdig. Das geschieht teilweise auch innerhalb der demokratischen Parteien und ist nicht nur eine der strukturellen Schwächen jeder Demokratie, sondern auch eine Aufforderung zur ständigen Reform derselben.