Zufrieden im Krieg?

Eine Mehrheit in Deutschland sieht nicht, dass wir seit längerem IM KRIEG SIND, sondern befürchten, dass wir IN DEN KRIEG hineingezogen werden. Zum Beispiel durch die Lieferung von Panzern.

Die Gegenposition wäre, dass wir seit längerem im Krieg sind. Beide Seiten argumentieren mit scheinbaren Evidenzen. Scheinbar, denn die Evidenzen sind meistens Konstruktionen aus einer Mischung von Geschichtswissen, Vermutung, eigenen und fremdgesteurten Meinungen und auch ernsthaften Ergebnissen von Nachdenken und Analysen.

Wenn ein Land bestimmte Aktionen gegenüber kriegführenden anderen Ländern tut oder unterlässt, ist es im Kriege oder eben nicht. Vor fast einem Jahr habe ich gesagt, dass die Kriegslogik eine andere ist als die Friedenslogik, und wenn man schon eine Meinung dazu hat, sollte man auch auf die angewandte Logik und die Konsequenzen hinweisen. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass die Meinungen dazu nicht ausreichen, um sich nachhaltig in diesem Diskurs zu behaupten, obwohl es natürlich wichtig ist, sich erst einmal Meinungen zu bilden und dann aus diesen politische Auffassungen, moralische Urteile etc. zu entwickeln, sich also aus der laienhaften selbst zugeschriebenen Unschuld heraus zu entwickeln. Je nachdem, ob man sich „quantenlogisch“ im Frieden befindet oder im Krieg, fallen die Urteile unterschiedlich aus. Was den Quantensprung bewirkt bzw. wahrnehmbar macht, ist eine komplizierte Fülle von Ereignissen. Die wiederum etwas Sachverstand braucht, um zu vernünftigen Urteilen und Ergebnissen zu kommen. Ich habe den Sachverstand im Einzelfall nicht, darum auch keinen Kommentar zu einzelnen Waffen, es gibt ja nicht nur Leopard2.

Mir geht es um etwas anderes. Wenn meine These von März letzten Jahres stimmt, dass WIR IM KRIEG sind und dass Krieg nicht nur aus sinnlich wahrnehmbaren Kämpfen, Schlachten, Verwundeten, Toten, Gefangenen, Angriffen und Verteidigung besteht; wenn also diese These stimmt, dann sollte man analysieren, wie lange man die Situation unseres Landes ALS IM FRIEDEN SIMULIEREN KANN. Umgekehrt, habe ich Unrecht, dann fragt sich, wie wir mit dem FRIEDEN IM KRIEG vor unserer Haustür umgehen. Vielfältig die Blogs und Statements und Diskussionsrunden, die Verhandlungen, Initiativen fordern, um dort den Krieg zu beenden, wo er hier nicht herrscht. Ich erweitere meine These, dass man sehr wohl aus dem Krieg heraus verhandeln kann, um Waffenstillstand oder eine Struktur von gegenseitiger Übereinstimmung zu erzielen, vielleicht weitreichend, vielleicht nur ganz punktuell. Geschieht ja dauernd, Gefangenenaustausch als Beispiel. Die kompliziertere Frage, nicht These, ist, ob man aus dem Frieden heraus in die Kriegsdiskurse eingreifen kann. Natürlich tun wir das längst durch Sanktionen, Wirtschaftshilfe, auch durch Informationspolitik und versuchte Beeinflussung. Vieles daran ist durtchschaubar und richtig, manches falsch.

Mein Problem, dass viel von dem Leid, das Russland verursacht hat, im Verlauf des Krieges „verallgemeinert“ wird, d.h. man schaut auf den Krieg als solchen und dann sieht man nur mehr Tote, Verwundete, Folter, Zerstörung, – aber man „entpolitisiert und entmoralisiert“ die Situation. Die „“ sollen nur aufmerksam machen, dass das eine sehr verkürzte Begriffsbildung ist. Frühere Kriege haben solche Haltungen hervorgebracht, das ist gut belegt. Was diesmal – seit 1945 wohl das erste Mal? – irritiert, ist die geringe Reflexion der eigenen Situation als nichtkämpfende, aber aktiv im Krieg sich bewegende Gesellschaft und staatliche Einheit.

Das hat, scheinbar paradox, auch mit Schuld zu tun, mehrfacher Schuld. Von Russland wird durch Missbrauch des Nazismusbegriffs die Wiederholung von Hitlers Krieg simuliert, und die Ukraine als Vorhut eines Angriffs aus dem Westen diffamiert, – zugleich will man sie zerstören, unabhängig von der Souveränität eines befreiten Staates. Es hat auch mit der selbst zugeschriebenen Schuld zu tun, eigentlich nicht genau zu wissen, was man jetzt tun sollte, und von wem man sich anleiten ließe, könnte man nicht selbst entscheiden.

Wohlgemerkt: das sind keine politikwissenschaftlichen oder philosophischen Überlegungen, sondern Reflexe auf das, was ich „mitbekomme“, wenn ich das Geschehen verfolge, und dann, hoffentlich, mit darüber Information hole und Gedanken mache (nicht umgekehrt). Und, das beunruhigt mich schon, 15 Jahre habe ich mir solche Gedanken in Afghanistan und gegenüber dem Geschehen dort gemacht. Man kann froh sein, nicht kämpfen zu müssen, nicht in unmittelbarer Sterbensgefahr sich zu befinden, ausweglos: aber deshalb steht man noch lange nicht außerhalb eines Geschehens, das eben auch KRIEG ist. Auch, das heißt, FRIEDEN wird weiterhin möglich sein, und schrecklich genug, auch als Ergebnis von Sieg, Niederlage oder Erschöpfung. Und dann soll niemand sagen, wir wären gottseidank draußen geblieben, weil wir ja drin gewesen sind, lebendig.

NACHSATZ: Das alles bedeutet nicht, selbstmitleidige Resignation oder zynischen Beobachterstatus einzunehmen. Es heißt „nur“, schwer genug, sich jenseits der Meinungsbildung über die eigne Position im Klaren zu sein.

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