Ach, vom Frieden reden .

Nichts leichter, als Frieden fordern. Nichts eingängiger, als Verhandlungen anzumahnen. Nichts gelegener, als populistisch populär zu werden, wenn man ins Rampenlicht möchte.

Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer haben sich ein Manifest gebaut, dem sich gleich eine Menge mehr oder weniger bekannter öffentlicher Menschen angeschlossen haben, von Kässmann bis Chrupalla.

Die Argumente kennen wir. Sie waren schon besser und differenzierter. Der hier vorgetragene Humanismus ist putinophil und antiwestlich, das kennen wir auch. Vieles erinnert an die antiwestliche Geschichte der deutschen Kultur gegen die Zivilisation vor mehr als hundert Jahren.

Man bräuchte dieses Manifest gar nicht mehr kommentieren, wenn nicht unter diesem Propagandatext einige wichtige, wirklich wichtige Fragen lagerten. Zunächst: wer soll wie mit wem verhandeln? Die Frage ist nicht trivial, weil erstens die Legitimation von Verhandlungen und die Verwirklichung eines friedensförderlichen Ergebnisses keineswegs auf konkreter Ebene benannt werden kann, und weil zweitens die Drohung mit dem Nuklearkrieg, ausgehend von Russland, implizit bedeutet, dass man Kompromisse „auf beiden Seiten“ (Manifest) machen muss, damit es nicht zu einem nuklearen Weltkrieg kommt. Wörtlich heisst es da „

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!

Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“. Und Schaden von den Menschen in der Ukraine abzuwenden, und Schaden von der russischen Lebenswelt abzuwenden, und Schaden von der friedlichen Kooperation als Ergebnis von Verhandlungen abzuwenden?

Das Manifest ist eine entpolitisierende appellative Form eines Aufrufs, der uns weder als Akteure noch als einflussreiche Vermittler sieht. Die Täter-Opfer-Balance ist ein probates Mittel, die Schuld und damit die Richtung von Politik – parteiergreifender, vermittelnder, oder sich ausblendender Politik – zu vernebeln.

*

Ich kenne einige der Erstunterzeichner, manche finde ich politisch besser als andere, das ist nicht wichtig. Wichtig ist mir, dass die Kritik am Manifest nicht eine schwarzweiß Umkehrung der Argumentation ist. Das bedeutet zum Beispiel, nicht mit der Möglichkeit des Kriegs zu drohen (wenn ihr nicht so verhandelt, wie wir es für richtig finden…), sondern die Realität zur Kenntnis zu nehmen und so zu vermitteln, dass man wissen kann, wer unter welchen Umständen mit wem worüber verhandeln kann. Wenn die Manifestler einerseits Deutschland als Kriegsakteur marginalisieren, andererseits aber Russland und die Ukraine als die beiden Seiten des Kriegs einander gleichsetzen, dann ist die Frage schon, was das mit Deutschland de facto zu tun hat.

Würde man ernsthafter an diese Frage herangehen, könnte man erstens die Differenz zwischen Wirklichkeit – Russlands Angriffskrieg und Verbrechen, Ukraines Verteidigung und Reaktion – wirklichkeitsnah benennen, – wenn man das kann. Das ließe niemanden aus der Kritik herausnehmen, würde aber eben differenziert urteilen. Zweitens spricht m.W. weder historisch noch pragmatisch etwas dagegen, dass während der Krieges verhandelt wird, und zwar um die Anerkennung der Mittler durch beide Seiten und um die Bedingungen für einen Waffenstillstand. Dessen Garantien sind entscheidend, ob der Kampf unterbrochen wird, oder absehbar beendet. Jetzt mit dem Kompromiss zu wedeln, der – vielleicht? – das Ergebnis sein kann, ist zynisch.

Es war immer schon ein probates Mittel, antiwestliche Ressentiments als Instrument des politischen Dazwischenredens zu verwenden. „Immer schon“ heißt seit dem Ende der Monarchie, konkret zu belegen. Dass es die westlichen demokratischen Diskurse, bei aller Kritik am Westen und besonders den USA (Vietnam etc.) dennoch vermochten, die politische Meinungs- und Willensbildung stärker zu prägen und zu beeinflussen als das weniger fassbare, östliche Narrativ, sollen die Kritiker bedenken. Oder befinden wir uns bereits im Drei-Staaten-Weltkrieg von „1984“?

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