Gestatten Bestatter

Der Frühling ist gekommen, die Bäume treiben aus, auf den Gräbern wachsen die ersten Krokus, und alles schaut für die am besten aus, die gerade noch nicht am Sterben sind. Die andern sterben sich leicht, im Frühling, wenn die Kräfte erschöpft und die Erwartungen noch unter der Schneedecke sind. Das Bestattungswesen treibt aus wie die Sträucher am Ufer der Lethe, der Mnemosyne oder auch des Styx oder Acheron. Wer aus der Lethe trinkt, verliert alle Erinnerung, Wer aus der Mnemosyne trinkt, hingegen erinnert sich an alles, und die Flüsse ins Totenreich zu überqueren hat mehr symbolische Bedeutungen als wir uns lebend vorstellen können…Ach, wenn es noch so einfach wäre. Da haben die Kolonisten der einfältigen Glaubenslehren erst ein Jenseits erfunden, das unsere irdischen Unzulänglichkeiten kompensieren soll, und dann ist der Weg dahin mit Stacheln und Amtsgerichten bewehrt, die dafür sorgen, dass ohnedies fast niemand ins Paradies kommt; auch damit die Seligen nicht am Harfengetöse verzweifeln. Wer aber in die Hölle kommt, den erwarten nicht nur massenhafte Akkordeonmissklänge, wie Gary behauptet, sondern auch noch Einsicht ins eigene Versagen und die falsche Temperatur. Angesichts dieser Aussichten bleiben wir lieber am und im Leben?!

Wenn aber dann doch gestorben wird, nebbich, er erwischt uns alle, wenn der so genannte Tod endlich aus der Kulturbühne verschwindet und jeder einzelne gestorben sein wird, dann wird dem so Verstorbenen meist eine Verabschiedung ins und am Grab verordnet, die die Überlebenden wahlweise tröstet, noch trauriger oder auch gleichgültiger macht, je nach unwiederbringlichem Lebenslauf der jeweils Vergrabenen, Verbrannten, aschig Verstreuten. Und was sagt man da, was sagt wer, wenn diese Trennung erfolgt, zugleich ein Übergang zwischen dem jeweils gerade Gestorbenen und den Überlebenden?

Dazu gibt es viele Texte, Gebetbücher, Grabrhetorik und Begräbnisritualistik. Aber nicht so viel brauchbares, weil die Überlebenden, doch gerne an ein Leben jenseits des Sterbens glauben wollen und sich deshalb der Wahrheit ungern nähern. So. Obwohl: die Begräbnisrhetorik nimmt zu, die Wahrheit rückt und drückt näher. Viele fühlen sich als GrabrednerInnen berufen, wenige sind auserwählt. Einen der besten stelle ich euch vor.

Schon weil das Buch Sorella Morte heißt. https://www.splitter.co.at/edition-splitter/  von Hannes Benedetto Pircher Über den Tod und das gute Leben Betrachtungen eines Grabredners 2. Auflage 240 Seiten Wien 2017 ISBN 978-3-9504404-0-9 Wonach fragt, wer nach »dem guten Leben« fragt? (Kann man bei mir auch bestellen – M.D. )

Was ich euch vorstelle, ist ein Buch, dessen Titel alles vorhersagt und ganz anders ist. Das fängt schon damit an, dass der Tod weiblich ist. Das habe ich schon bei Saramago entdeckt, dass DER Tod eine nur fraktale Konstruktion ist, und DIE Tod, Tod&Teufel, genauso wahrscheinlich ist, es handelt sich ja nur um die Lebenden…(Saramago 2007). Und der Pircher kommt in meinem neuen Buch im gleichen Verlag intensiv vor. Ich hatte ihn als Präzeptor des Ritus kennengelernt, jetzt ist er mein Freund and Begleiter bei der Trennung von Tod und Sterben. Trivial? Mitnichten. Wenn einer Theologe war, und Grabredner wurde, dann ist das nicht zufällig. Eben diese Trennung ist für ihn entscheidend. Wenn ein Mensch gestorben ist, hat der Tod sein Recht verloren. Es gibt den/die Gestorbene(n= und die Überlebenden, also die noch nicht Gestorbenen. Und für den Augenblick des Abschieds gilt der Mythos des konstruierten Todes wenig. Da wird das Gedächtnis bemüht, die Erinnerung, und was die Gestorbenen mit den noch Lebenden gemacht oder versäumt haben, was sie post mortem nachholen wollen müssen dürfen, was sie den Gestorbenen in die Asche nachrufen, und welches Echo sie von drüben erwarten, kommt es doch nur von hüben.

Der Grabredner muss ja mit den Lebenden verabreden, was und worüber er sprechen soll, und dann kommt etwas ganz anderes heraus, als die Trauerfamilie, die Freunde, die Funeralbeiwohner aller Arten erwarten, weil sie von den Worten herausgerissen werden aus den Vorstellungen, was richtig wäre, und in die Wirklichkeit gestoßen, da gibts nur eine Wirklichkeit, nur eine, die jetzt erlebt wird, gelebt wird. Und keine einzelne Rede sei hier auch nur zitiert, denn anders als bei den Bildern des Todes, bei der großen Metapher von Liebe&Tod, bei patria o muerte, ist alles Sterben immer und ausnahmslos je ein Mensch. Echtes Geboren-Werden, echtes Sterben, nicht unter die Kriegerdenkmäler zu summieren und auf den Todesäckern und Massengräbern abzuschleifen. Nein. Jeder stirbt, nicht für sich allein, aber allein.

Pircher gewinnt seine Lebensfreude, seine Lebendigkeit aus der sensiblen Kommunikation mit den Lebenden, die den Gestorbenen etwas sagen wollen, worüber sie davor oft nicht geredet haben. Und diese Kommunikation macht zwar den Abschied nicht leichter, aber das Leben darüber hinaus, das man ändern kann, wenn schon niemals das abgelebte Leben der Gestorbenen.

*

In mehreren TV Sendungen, die ich während der heutigen Schreibpausen gesehen habe, war von Tod und Sterben die Rede, und das Bild. Zufall, vielleicht, gerade heute. Oder heute und immer? Jedenfalls ist die Wirklichkeit des Sterbenmüssens, oft vor der Zeit, jenseits der Sentimentalität, die das Gerede vom Tod so oft vermittelt. Und was heißt „vor der Zeit“. Immer.

Im Fernsehen der Film „Was uns am Leben hält“ von David Sieveking über und mit Gerald Uhlig und dessen Sterbensumgebung, die Leben heißt, am Leben ist bis zum letzten Moment Was uns am Leben hält – 3sat-Mediathek von 2021. Das passt als Dokumentation zu Benedetto Pirchers Reden mit den und an die Lebenden. Was ist das gute Leben? Eine Antwort wird leichter, wenn man angesichts des nichtrückholbaren Sterbens eines anderen Menschen nicht mehr ausweichen kann.

Der Grabredner spricht mit den Überlebenden, und seine Kunst ist es, ihnen klarzumachen, was sie angesichts des Abschieds, des Verlusts oder auch der Erleichterung über das Hinscheiden zu sagen haben. Nur Lebende haben etwas zu sagen. Das klingt einfach. Ist es aber nicht. Was vor der Grabrede mit den Betroffenen gesprochen wird, bildet in der Grabrede die Brücke aus der nunmehr schon angetretenen Vergangenheit der Gestorbenen in die Zukunft der Überlebenden. Und Zukunft ohne Erinnerung ist nicht vorstellbar. Das Gute Leben, das kommen kann, wird ohne die Erinnerung nicht kommen oder nicht gut sein. In keinem Fall kann es jenseitig sein, also bleibt es unter uns. „Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, dass es mir nicht gelingen will, ein Jenseits des Lebens anders als als Diesseits des Todes zu denken“ sagt Pircher, S. 61.

Da ist er jetzt, der Tod. Das Sterben löscht auch ihn aus, nur solange wir leben, kann er uns als Bestandteil der Kultur begleiten, manchmal gehört er zum Guten Leben, wir sterben ja nicht, wenn wir Romeo und Julia sehen oder den Jedermann… manchmal zum schlechten Leben, zum Unglück, wenn wir uns die Lebendigkeit versagen, damit uns der Tod nicht einholt, was dann „heimholen“ heißt.

Pirchers Buch ist oft die Reflexion auf das Ergebnis seiner mehr als 5000 Grabreden. Was haben sie bewirkt, wie denke ich weiter, haben sie ein Stück des guten Lebens gebracht, ohne die Trauer wegzuwischen?

Vor kurzem habe einer künftigen Grabrednerin Zuspruch gebloggt. Tod ist nicht Sterben, 12.2.2023. Dem Pircher kann ich nur wünschen, dass sein Zuspruch weiter zum Guten Leben der Hinterbliebenen beiträgt, das hilft auch dem Erinnern der Gestorbenen.

Saramago, J. (2007). Eine Zeit ohne Tod  Reinbek, Rowohlt.

michaeldaxner.com Tod ist nicht sterben, 12.2.2023

David Sieveking: Was uns am Leben hält, 3sat Mediathek, ab 1.3.2023

Demnächst erscheint Michael Daxner: Flanieren im Mythos – Sexualität und Gewalt, edition splitter, Wien 2023. Da gehts auch um Tod und Sterben.          

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