Vermintes Gelände? Israel und Umgebung

Israel und Faschismus? Araber und Faschismus? – Dumme Doppelhelix. Darf man, darf ich, solche Begriffe gebrauchen? Ich denke, man darf und muss, v.a. um die Schutzmauern exzeptionalistischer=mit Ausnahmestatus versehener, „besonderer“ Menschengruppen durchlässig zu machen. Und was Faschismus betrifft – keine Menschengruppe, keine Gesellschaft, kein Staat ist vor ihm gefeit, die illiberalen Demokratien auch in Europa geben davon Zeugnis.

Israel beendet mit großen Schritten die besondere Beziehung zur deutschen Geschichtsbearbeitung und Demokratie. Gottseidank gibt es IN Israel (fast) hinreichend viele Proteste und Widerstand gegen die Koalition von religiös-faschistischen Ultraorthodoxen und säkular-kleinstbürgerlichen Landräubern aus den Siedlungen. Und Überschneidungen beider Lager, angereichert von einer Wählergruppe, die mir wichtiger erscheint: denen, die schlicht sagen „mir reicht es“ und die Demokratie eintauschen wollen gegen die Klarheit einer Vertikale der Macht.

Finanzminister Motrich, der auch für den Siedlungsausbau im Westjordanland zuständig ist, sagte bei einer Konferenz der Wirtschaftszeitung „The Marker“: „Ich denke, das Dorf Huwara muss ausradiert werden. Ich denke, der Staat Israel muss dies tun – um Gottes Willen keine Privatleute.“ (dpa, 1.3.23)

Es kommt nur bedingt auf die ständig wiederholte Frage an, wer hat (was?) angefangen. Für die Konflikte zwischen Israel und seinen Nachbarn, Arabern und Palästinensern, hat es so viele Anfänge gegeben, dass man wenigstens um die Arbeitslosigkeit von Historikern nicht fürchten muss. Wenn der kleine Gauner Netanjahu sich die Regierung mit einer nationalfaschistischen und religiösen Machtteilung erkauft, um seine letzten Lebensjahre im Prunknebel zu verbringen, ist das zu kurz gedacht. Er verkörpert auch die gefühlte Sicherheit, dass die westlichen Demokratien schon durch Hinweis auf die Shoah und die Gründung des Staates Israel ihn vielleicht kritisieren, aber niemals fallen lassen (obwohl sie das teilweise längst getan haben, aber auch hier sind die Zeichen schwer zu lesen).

Zur jetzigen Situation haben die Kriege weniger beigetragen als gemeinhin angenommen wird. Auch ist die Politik der jetzigen Regierung nur teilweise ein revanche-orientierte Reaktion auf den Raketenbeschuss durch Hamas und andere Gräueltaten. Die Außenpolitik erklärt einiges zusätzlich, gegen den Iran bedeutet Kooperation mit anderen islamischen Araberstaaten. Die Innenpolitik erklärt noch einmal zusätzlich, dass viele Israeli alles Mögliche mehr im Sinn haben als die Legitimation von Politik durch die Überlebensvision nach der Shoah, die ja teilweise zwar zitiert, aber nicht über die Generationen hinweg erinnert wird. Auch kann man verfolgen, welchen Einfluss die Veränderungen der Bewohner des Landes, Ashekansim vs. Sfaradim, ex-sowjet-Einwanderer etc., auf die politische Zusammensetzung der Demokratie gehabt haben. Wir reden zu ungenau einmal vom Jüdischen Staat, einmal vom Jüdischen Volk, und einmal von der geopolitischen Konstellation, alle gegen alle ausspielt.

Und nach diesem Analysemuster kann man die Politik der palästinensischen Führung und die teilweise aggressive, teilweise opportunistische Nichtpolitik der umgebenden Staaten analog als Konglomerat nicht zueinander passendender Erklärung betrachten.

BDS und andere eher widerwärtige Israelfeinde sind da ebenso wenig erhellend wie die mühsam verdeckte Verachtung der nicht jüdischen und nicht israelischen Systemumgebung des unantastbaren Staates bei gleichzeitigem Ausblenden einer Gesellschaft, deren Entwicklung man nicht unbedingt und im Detail voraussehen wollte und konnte.

Shimon Stein und Moshe Zimmermann haben gestern in der ZEIT einige Erklärungen versucht, die denkenswert sind. (2.3.2023, S. 7). „Solidarität heißt nicht Schweigen“. Im Fazit steht hier, dass zwar die Würde der Menschen unantastbar ist (Deutsches Grundgesetz und Wahrheit), aber nicht die Politik Israels.

*

Als jüdischer Deutscher und Österreicher denke ich, dass man – in einer Situation um sich greifender rechtsnationaler Mentalität in westlichen Demokratien – nicht schweigen darf. Nicht nur die nicht-jüdischen Bevölkerungsgruppen in Israel stehen auf dem Spiel, nicht nur der Hoffnungspunkt, dass wir wenigstens dieses Land als Anker möglicher Zukunft immer haben werden, nicht nur der Vorrang von Demokratie vor geopolitischem Opportunismus. Auch steht zur Debatte, wie weit die deutsche Selbsttäuschung über den verarbeiteten Holocaust und die wirklichen Lehren auch aus unserer Geschichte zu prüfen, zu kritisieren und zu ändern sind.

Dazu reicht es nicht, Meinungen zur „Justizreform“, zur Todesstrafe, zum rassistischen Vorzug jüdischer vor anderen menschlichen Bevölkerungsteile Israels zu entwickeln, es reicht auch nicht, korrekt und differenziert mehr als nur Pauschales dazu zu wissen. Die Meinungen müssen politische Konsequenzen haben.

Dazu gehört jetzt dringend, das Thema, die Wirklichkeit in Israel zu veröffentlichen, und mit denen solidarisch zu sein, die den faschistischen Spuk hoffentlich bald überwunden haben. Dazu gehört auch, verdeckte oder offene Ent-Schuldigungen für die „anderen“ Seiten – in Israel, in der geopolitischen Umgebung, im Spiel der Welt- und Großmächte nicht zu planieren. „Alle sind schuld“ gehört zum Jargon deutscher Selbstentschuldigung, so wie bei der Samstagdemonstration zum Russenkrieg gegen die Ukraine, so wie zur sich ausbreitenden Festungsmentalität gegenüber Asylsuchenden,  so wie…

Das So Wie ist nicht ein umfassender Vergleichsmodus, sondern der Hinweis, dass das, was in und mit Israel geschieht, keine Insel in Wahrnehmung und Handlung ist.

Nachsatz: Für alle Religionen, die staatliche Ansprüche stellen, für alle, Christen, Juden, Muslime, Hindus, etc. gilt, dass sie ihre konstruierten Gottesansprüche missbrauchen. Auch das müsste man gerade im deutsch-israelischen Verhältnis bedenken.

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