Russlands Krieg gegen die Ukraine liegt mir schwer auf dem Denken und den Gefühlen. Aber, das ist wichtig, es gibt neben diesem Krieg auch andere schreckliche Ereignisse, und will man sich vom Terror der Aktualität nicht unterkriegen lassen, muss man wohl wie ein Aufmerksamkeitsradar beobachten, wo die anderen besonderen Terrorien sich entwickeln und abspielen. Ich hatte vor jeder Anwanzung an Netanjahu gewarnt, nur weil er angeblich Israel vertritt. In dieser Fortsetzung der gestrigen Analyse geht es um unsere Wahrnehmung der israelischen Geschichte und ihrer Rückbindung an „uns“.
Tagesspiegel 22.3.23 (Israelischer Minister verschärft Rhetorik: „So etwas wie Palästinenser gibt es nicht“
Artikel von Mareike Enghusen • Vor 6 Std. )
Israel: „„So etwas wie Palästinenser gibt es nicht, weil es so etwas wie ein palästinensisches Volk nicht gibt“, sagte Israels Finanzminister Bezalel Smotrich am Sonntagabend auf einer Veranstaltung in Paris…Die Idee von einem palästinensischen Volkes sei von Arabern erfunden worden, „um die zionistische Bewegung zu bekämpfen.“ Wenn es wahre Palästinenser gebe, fuhr Smotrich fort, dann seien dies seine Vorfahren, schließlich lebe seine Familie seit 13 Generationen in der Region…Es ist das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass Smotrich, der Vorsitzende der ultrarechten Partei Religiöser Zionismus, mit provokanten Äußerungen von sich reden macht. Anfang März hatte er gesagt, das palästinensische Dorf Hawara, in dem kurz zuvor ein Palästinenser zwei junge Israelis erschossen hatte, müsse „ausgelöscht“ werden.
VORSICHT: bevor jemand sagt, so ein Blödsinn, aufmerken. Wie die NAZIS benützt Smotrich eine Form des Konstruktivismus, um sich rhetorisch und populistisch Gehör zu verschaffen. So umfassend wir alles Mögliche konstruieren, so müssen wir doch das Muster verstehen, in dem das geschehen kann. Das heißt nicht, dass Smotrich Recht hat, aber es heißt, dass wir sein Argument und die implizite Konstruktion des Zionismus prüfen müssen. Wenn er seinen faschistischen Hass gegen die Palästinenser richtet, dann sind wir bei einem heute gern geübten Muster: Putin + Russland –> die Ukraine gibt es nicht. Motrich und die Siedler (seit 13 Generationen, wie war das unter den Ottomanen?) –> die Palästinenser gibt es nicht. Dabei helfen immer die religiösen Extremisten, Kyrill oder hier die ultraorthodoxen Götzendiener. „Religiöser Zionismus“ (Smotrichs Partei) ist ein Widerspruch in sich. Immer gewesen. Das führt genau zu dem Nazispruch des Wir oder Sie der Endlösung, und natürlich haben Wir mehr Recht usw. Er bleibt aber Unsinn. Denn Feind erst verbal töten und dann vernichten. Smotrich ist ein Nazi. Übrigens wäre es egal, wenn eine andere Seite einfach das Blatt umkehrt und dann das Gleiche sagt und tut, was ja geschieht.
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Der vom Gauner Netanjahu angebotene Kompromiss ist so frech, dass man ihn dafür allein schon absetzen und einsperren müsste. Aber viel Pöbel stützt ihn noch, zu wenig Widerstand droht ihm noch.
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Ich ahne schon die Kritik, Juden sind doch nie Nazis, und der Vergleich hinkt, und überhaupt. Ich habs nicht nötig mich zu verteidigen, aber ich bin geradezu froh darlegen zu können, dass a) jüdische Menschen genauso gut, böse, klug, dumm sind (und waren) wie alle anderen Menschen – also nicht unter den Exzeptionalismus fallen, incl. „Auserwählung“ und b) dass der Preis für den jüdischen Staat Israel war und ist, dass es ein demokratischer Staat und keine religiöse Gemeinschaft ist.
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Mir geht’s auch um das „Überhaupt“ des Arguments. Vor allem für Deutsche ist es einfacher, alles Israel-Bezogene durch die diskursive Brille der Shoah betrachten zu wollen oder zu lassen. Für viele Israeli der letzten Generationen ist das auch der Fall, oft und schrecklich nach den eigenen Erlebnissen und Überlebensgeschichten. ABER für eine andere Gruppe, weniger? Andere GruppeN? stimmt das so nicht, ihre Herkunft hat andere Schrecken, Verfolgungen, Ausgrenzungen zu erleiden gehabt, aber eben nicht die Shoah, und deshalb sind die Legitimationsdiskurse zwischen den Gruppen nicht gleichmäßig gewesen, und bis heute nicht. Was dürfen jüdische Israelis in einem multiethnischen, jüdisch majorisierten demokratischen Staat? Das ist mit Demokratie, mit Menschenrechten, mit Republikanismus, mit vielen historischen Erfahrungen zu legitimieren, unter denen die Shoah eine ist. Da könnte man dem Smotrich z.B. die Geschichte des Zionismus unter die Nase halten.
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Und immer gilt: wenn man die eine Seite, die jüdische, in Israel, korrigiert und kritisiert, entlastet man nicht an die andere, anti-israelische und antisemitische. Das nämlich gehört zur Demokratie, dass man mehr als einen Feind haben kann. Jetzt wollen beide das demokratische Israel zerstören.
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Zurück zu „Uns“ nach Deutschland. Die Spuren der Trennung von Antizionismus (links) und Antisemitismus (rechts) in allen Varianten sind aktiv und treiben Hybride. Oft unehrlich, so wie DDR und BRD einander begegnet sind, so wie die Frage jüdischen Identität dauernd mit der fragwürdigen politischen Position innerhalb der Staatsräson vermischt wird. Mischkulanz, möchte ich sagen. Und wenn überhaupt zu raten ist, beschäftigt euch einmal etwas genauer mit diesen Herkunftsargumenten der israelischen Rechtsradikalen, schaut auf Netanjahus Verbündete, nicht nur Trump, schaut auf die Analogien ultra-orthodoxer Gottesanbeter jeglicher Konfession, und schaut auf die gar nicht selbstlosen Unterstützer von Siedlern im Westjordanland und den Quartieren der Palästinenser in den angrenzenden Staaten. Das bringt die Lösung der Probleme nicht gleich ganz nahe, aber es macht sie erwartbarer, durchsichtiger.