Jahrelang wurde den 68ern, „uns Achtundsechzigern“, die zu achtlose Verwendung des Begriffs Faschismus, gar Nazi, vorgeworfen, wir würden, sagte man, die Gräuel der NS und Faschisten verkleinern, verharmlosen. Auch waren viele von uns bemüht, die Analogien zwischen Faschismus und Stalinismus klein zu reden, und die Untaten der USA, innen wie außen, auf die Nuklearpolitik und den Fernen Osten zu reduzieren. In allem steckte ein wirkungsmächtiges Körnchen Wahrheit, und viel oberflächliche Ignoranz.
Heute ist das anders, vieles ist anders, nicht nur hat 1989 die Diskurse und Hoffnungen polarisiert und enttäuscht, die Generationen nach uns reden ganz anders, kenntnisreicher, aber auch ideologisiert über Vietnam, Laos und Kambodscha (erinnert ihr euch an die Dreifaltigkeit der Sprechchöre), über die objektive Differenz zwischen Russland und China und den USA, z.B. angesichts des Kriegs gegen die Ukraine usw. Aber eines ist hängen geblieben: der Faschismus ist aus dem politischen Alltagsvokabular verschwunden oder nur reduziert vorhanden. Dass NATO Mitglieder faschistisch regiert werden (Türkei, Italien, Ungarn…), dass in der EU faschistische Parteien mitregieren oder starke Positionen innehaben (auch in Österreich haben die Nazis von der FPÖ mit dem austrofaschistischen Flügel der ÖVP Bündnisse), und die USA sind gespalten, mit einem starken faschistischen Flügel. Der hat in Israel eine Regierungsmehrheit, durch einen religiösen Flügel unterstützt, noch nicht vom Volk anerkannt, aber an der Macht…Die Liste lässt sich erweitern, und die roten Linien zwischen demokratischen Parteien und faschistischen Kräften sind weltweit durchlässig und brüchig.
Die Schwächen der Demokratien und die weltweite Stabilisierung der Faschismen hat viele und vor allem zueinander kontingente Ursachen und Gründe, aber ihre Wirklichkeit ist so wenig negierbar wie die Begrifflichkeit aus der Deckung kommen sollte.
(Mehr Bloch und Hannah Arendt lesen)
Dagegen anzugehen, bedarf weniger einer großen historisch-systematischen Theorie, warum das so gekommen ist, und sich seit längerem abzeichnet; wichtig ist vor allem die Überlegung, wie mit dieser Wirklichkeit umzugehen ist, wie damit zu leben ist, wo wir Konsequenzen für unser Leben und das unserer Kinder ziehen. Die Theorien sind vorhanden. Aber die Praxis ist oft bequem geworden, der Staat wirds schon richten, und wir haben ja Wahlen, oder resigniert, weil die Regierungen sich mit dem Klimawandel längst abgefunden haben (SPD und FDP in Deutschland, analog fast überall in den Demokratien).
*
Ich will hier gerade nicht auf eine erneuerte Globaltheorie hinaus, die gibts ja auch in Ansätzen und da hat man ein Portfolio an klugen Gedanken. Hingegen ist mir wichtig, auf die Lebenspraxis angesichts des anwachsenden Faschismus hinzuweisen, und auch der Parrhesia zu ihrer Geltung zu verhelfen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Parrhesia – sagt die Meining, mit dem Aussprechen ist eine politische Ambiguität verbunden, auch vielleicht Gefahr und Bedrohung. Es geht um Wahrheit, nicht um Befindlichkeit.
Abgesehen davon, dass ich den Klimafeinden und Betontrotteln der Ampelkoalition einige Abkühlung im Widerstand der Menschen dieses Landes wünsche, denke ich, dass wir schlapp geworden sind in dem Aussprechen der weiterführenden Begriffe. Da sind die Grünen nach wie vor in der Vorhand – und sollen es bleiben, aber als machtvoll Regierende und nicht als psychorigide Oppositionsgruppendynamik. Aber auch hier, bei uns Grünen, muss an den Begriffen gearbeitet werden, an der Sprache des Widerstands und der Kritik. Das ist kein Verbalradikalismus. Parrhesia ist nicht radikal „an sich“, sondern oft Angst besetzt, weil natürlich die Faschismen mit Gewalt und Desorientierung antworten, nicht nur Russland oder Türkei, alle Undemokratien, und die sind oft auch intern, in unseren Gesellschaften, in D, A, EU usw. Wenn man aber die Wahrheit in den Mund nimmt, wirkt das auf angebliche Verbündete (USA, EU, NATO) anders als auf Feinde, ob man mit ihnen zusammenarbeiten muss, oder soll, oder kann, oder gemischt agiert.
Und das ist Kritik an einigen Bekannten aus der 68er Zeit, dass sie ihr Faschismusvokabular am liebsten an den USA auslassen, weil die Fehler der Demokratien ihnen schwerer wiegen als die Praxis der Diktaturen. Das kann man so sehen, dann muss man aber der Wahrheit verpflichtet bleiben und auch erklären, warum man im Schutz der USA und nicht in China oder Russland den Mund weit aufreißt.