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Es macht vieles keine Freude mehr, das einmal das Gewürz politisch und kulturell zum Alltagsdiskurs gehört hatte. So zumindest hört man es an allen Ecken und Enden, ich höre keine Nachrichten mehr, ich lese keine Zeitungen, man muss nur genau hinhören, in welchen Themen sich die einzelnen Hirne und Gefühle von der Kommunikation abkoppeln, sich auf die Plattform ihrer

MEINUNG

zurückziehen. Ich verfolge diese Haltung aufmerksam, entdecke in ihr von Gelbwesten über Verschwörung bis zum aktuellen rechtslinksmittigen Faschismus viele Schnittstellen. Das ist nicht schwierig, wenn man genau hinsieht und hinhört und sich zurückhält, nicht beteiligt am Chor der einzelnen Meinungen. Nun ist die Kritik an der Meinungshoheit eine alte philosophische Übung, und ich denke nicht daran, dass das heute, im Auftakt zum Lenz, erörtert werden muss.

ABER.

Nichts vom Schrecken dieser Tage entgeht einem. Bevor man sich äußern möchte, muss man ja mehr als eine Meinung haben, man sollte etwas wissen und auch sich damit befassen, ob und wie es richtig wäre, bestimmte Wahrheiten zu sagen oder zu verbergen. Viele sind abgestumpft durch die Hoffnungslosigkeit der einander überlagernden Schrecken, dabei übersehen sie nur, wie schnell die letzten Sturmfluten von Krieg und Verzweiflung und alltäglichem Irrsinn dem Vergessen oder der Verdrängung anheim gefallen sind. Andere picken sich einen Punkt heraus, der wird ihr archimedisches Zentrum, und dann haben sie genug zu tun, bzw. nicht zu tun, aber zu bereden. Und selber? Manchmal schäme ich mich, in wichtigen Dingen gerade nichts zu sagen, nur zu beobachten. Aber, wie schon mehrfach geäußert, Meinungen zu haben und zu sagen, reicht nicht. Und will man handeln, muss man kommunizieren, auch wenn man das partout nicht mehr über sich bringt.

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Das mag euch nicht passen als Osterbotschaft eines Blogs. Versteh ich, ich bin auch missmutig über die unerträgliche WIRKLICHKEIT DIESER TAGE UND WOCHEN. Die Wirklichkeit hat den Nachteil wirklich zu sein, den Vorteil, das was als religiös oder ideologisch verbrämte WAHRHEITEN auf uns niederregnet, jetzt gerade zu Pessach, Ostern und im Ramadan mit den besonderen Heucheleien. Aber ein Blog verbreitet ja auch keine Botschaften…

Wachen Auges wegschauen von dieser Wirklichkeit. Das erlaubt, Glückwünsche anzubringen, Feiertagswünsche, Genesungswünsche, das erlaubt vor allem, sich nicht von den Müllbergen des „Engels der Geschichte“ zudecken zu lassen. Anstatt zu verzweifeln resignieren, das hat so wenig Sinn.

Ich schreibe heute bewusst keine FEIERTAGSGRÜSSE, sondern tauche einfach unter die Stimmung, unter den Ärger über Unfähigkeiten und unerträgliche Ereignisse hinweg. Vielleicht ist es ganz gut, angesichts der extrem kurzen Zeitspanne, die uns für Politik, Klima, Frieden und Überleben bleibt, einmal den Atem anzuhalten und sich mit dem, was uns umgibt, abzugeben. Uns mit der Erinnerung abzufinden und zu schauen, was man davon in die kurze Zukunft mitnehmen kann. Das ist keine schlecht Stabilisierung des fragilen Selbst in einem Frühling, der ja noch ganz normal sich anbietet, schaut man bloß aus dem Fenster. Dreht man die Predigten in den heuchlerischen Medien ab und hört Musik, wiederholt, was sich einem eingeprägt hat und die Zukunft noch beleben soll, solange wir überleben.

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In der Apokalypse geht es ziemlich ruppig zu vor dem Jüngsten Tag, vor dem Ende der bisherigen gelebten Welt. Wie ich dazu komme? Viele Jahre bin ich auf dem Schulweg an einer Statue vorbeigekommen, wo der Anfang des 12. Kapitels auf latein eingemeisselt war „Signum magnum apparuit in caelo…“, Die mit der Sonne bekleidete Frau, den Mond unter den Füßen, sollte ein Kind gebären…Was man selten weiter gehört und gelesen hatte, war die Fortsetzung des Kapitels, der Kampf zwischen dem Himmel und dem Drachen und seinen Engeln, die (natürlich) nicht siegen durften. Der Rest des Kapitels stand natürlich nicht auf der kitschigen Steinfigur. Das Kapitel findet sich aber verarbeitet in der Literatur, im Bewusstsein aller „Endkämpfe“ und „Endsiege“, es liest sich gut für diejenigen, die die jetzige Wirklichkeit in diese Offenbarung des Endes einschreiben wollen. es gibt eine Menge Politiker, die sich selbst ermächtigen, ein Ende herbeizuführen oder zu verzögern, die aber nicht wahrnehmen, was sie auf ihrem Weg dahin anrichten, wenn sie töten, foltern, vernichten. Dass sie selbst Teil dieses Endes sind, fällt ihnen so wenig auf wie ihren Gegnern, die eine vergleichbare Logik verwenden, anscheinend mit der besseren Wahrheit gerüstet.

Putin der Wiedergänger, die orthodoxen Sekten am Tempelberg, die Palästinenser…die Aufzählung findet in der Apokalypse ihre dramaturgischen Rollenbilder, auch im Alltag, gerade dort. Es ist nicht schwer, sich von diesen Rollenbildern zu lösen, es wird nicht mehr gespielt, das ist alles wirklich. Und hat den Vorteil, dass es auch dann wirklich bleibt, wenn man gerade nicht hinschaut.

Deshalb schaut einmal für den Augenblick des Frühlingstags, des Pollenflugs, der jungen Füchse im Park nicht hin, sondern lasst euch im Halbschlaf des Frühlingserwachsen sein. Früh genug werden wir gefordert sein, wieder zu handeln, immer und gleich, die Gefahren sind im Augenblick anderswo größer, die Risiken werden aber auch bei uns gesponnen.

Für einen Augenblick reicht es, die Meinungen beiseite zu schieben. Die Wirklichkeit kommt schon wieder in unsere Aufmerksamkeit, vergönnt ihr die Pause eines hellen Tages: was wir da erinnern, kann auch noch morgen sein, ?übermorgen, ?wie lange noch. Das ist nicht so schlecht.

Nachsatz: wer meint, das sei eine verschwiemelte, verdeckte Predigt, ein Hilferuf in der Ausweglosigkeit gewesen, irrt. Man kann auch erklären, warum die KlimakleberInnen etwas Unrichtiges tun, aber um so viel näher an der Wirklichkeit sind als ihre Kritiker; man kann erklären, warum sich die Debatte so leicht ablenken lässt, neben 2 Millionen Fussballexperten haben wir jetzt 10 Millionen Schlachtenfachleute, neben den armen Kindern geht es doch den Meisten besser als je zuvor…und wie lange was wie anhält? Darum gehts in meinem kurzen Artikel. Sich verkürzende Zeitspannen beschädigen das Bewusstsein.

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