Semitismus, dauernd

Heute ist Führers Geburtstag. Bis vor 10 Jahren wussten ganz viele Alte und Junge genau, was an diesem Tag besonderes ist. Ich hatte in meinen Seminaren immer wieder gefragt, wann Willi Brandts Geburtstag ist…wusste natürlich niemand. Heute wissen auch nur mehr wenige, was am 20.4. los ist.

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Seit Tagen brummt der Antisemitismus-Diskurs in Deutschland, und grenzüberschreitend. Es gibt, wie man so unpräzise sagt, „Vorfälle“. Die nehmen zu; der Zentralratsvorsitzende Schuster meinte heute (20.4.), er hätte sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können, wie sich der Antisemitismus entwickeln und rote Linien überschreiten würde (Angriff auf Kippaträger am Prenzlberg). Er sagte dazu, dass ja nicht  automatisch der Blick auf arabische Täter fallen solle, es gäbe ja auch einen genuin deutschen Antisemitismus, mit den wiederaufgelegten Ressentiments über die Weisen von Zion.

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In diesen Tagen feiert Israel Jom Hazmauth, den Staatsfeiertag, 70 nach der Gründung, nach dem Freiheitskrieg, nach der Staat gewordenen Hoffnung. Es wird solidarisch gratuliert, es wird die Kritik an der Siedlungspolitik zeitweilig etwas zurückgenommen, es wird Netanjahus Politik für einen Tag hinter das Prinzip der Unterstützung für Israel zurückgestellt, und man ruft zu Frieden auf. Frieden, der der verlogene Unterstützer Israels, Trump, mit seiner Hauptstadtentscheidung weiter zu stören beabsichtigt. Aber all diese Äußerungen verdecken die in Deutschland, auf der Linken zumal, schnelle Überlagerung der Israelkritik mit einem alten Antisemitismus, der nicht deshalb neu geworden ist, weil er andere Medien und Diskursformen benutzt.

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Ich bin auch von den offenen und unterschwelligen Antisemitismen dieser Tage angefasst, aber nicht mehr als in den letzten sechzig Jahren in  Österreich und Deutschland. Was ich in Baden bei Wien bei Freunden gehört hatte (Freunde ohne „“, ich verstand damals noch nicht alles), war nicht anders als die Auschwitztexte der geehrten und dann decouvrierten Rapper. Hannah Arendt: „Vor dem Antisemitismus ist man nur auf dem Monde sicher“ (München2000, Aufsätze hrsg. Von ML. Knott).

Die Warnungen, reflexhaft nicht nur aus dem Zentralrat, sondern von Regierung und Parteien und öffentlichen Einsprechern geäußert, meinen, die Politik müsse mehr tun, um den Antisemitismus deutlich und wirkungsvoll zu bekämpfen, vor allem über frühe Erziehungsmaßnahmen in Schulen. Alle müssten Auschwitz oder Bergen Belsen besuchen…und sehr vorsichtig sagen einige, man müsse natürlich dem arabischen und/oder islamischen Antisemitismus entgegentreten, ohne anti-arabisch oder anti-muslimisch zu argumentieren.

Die Falle schnappt zu.

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Das Argument, dass Deutschland (und immer dabei Österreich) besonders verpflichtet sei, sich gegen Antisemitismus zu positionieren, ist so falsch wie richtig. Aber ich bestehe auf meiner Deutung, dass damit „Juden“ konstruiert werden, die die Folie für Antisemitismus ohne Ausweg erst werden können, wenn sie aus der Gesellschaft durch besondere Eigenschaft ausgegrenzt und erkennbar werden.

DER ANTISEMITISMUS MACHT JUDEN Hamburg 2006

Die Herstellung von Juden ist so prekär wie die Herstellung von Deutschen. Ich kann einigermaßen genau und nach vorne offen wissenschaftlich und historisch beschreiben und erklären, was JÜDISCH ist. Ich sollte dabei angeben können, in  welchem System ich den Begriff verwende – juristisch, ökonomisch, anthropologisch, ethnologisch….und immer wieder religiös. Wenn das nicht geschieht, ist das dauernde Verschieben von einem System ins andere das ideale Feld für Antisemitismus, v.a. zwischen Ethnokultur und Religion. Hier ist die Analogie zu  , der ebenso eine Tatsache ist wie der christliche. Weil bei den Muslimen und Christen genau das geschieht, was bei den Arabern, Türken und Deutschen auch geschieht: die Konstruktionsmerkmale instrumentell und opportunistisch so einzusetzen, dass immer der böse oder veropferte „Jude“ herauskommt.

HÖRT AUF MIT DEM ANTISEMITISMUS ZU SPIELEN

Weil es den Antisemitismus wirklich gibt, sollte man ihn weder übertreiben noch bagatellisieren. Aber er ist, etwas dürr formuliert, die „abhängige Variable“, die sich nicht selbst erklärt. Und aus dem Antisemitismus folgt häufig so wenig wie aus seiner Kritik. Die Erklärungen kommen aus unterschiedlichen Systemen: der anti-israelische Antisemitismus ist anders begründet als der religiöse, und natürlich sind Christentum und Islam antijüdisch, weil sie ja aus dem Judentum geboren sind. Religionskritik ist ebenso geboten wie die globalpolitische Ehrlichkeit gegenüber Israel. Das Land ist ja eine Last für die deutsche Außenpolitik, weil es eine Sprache erzwingt, die Tür  und Tor den Angriffen der AfD und dem Schuldvorwurf öffnet;  weil diese Last nicht mit dem Hinweis auf die deutsche Geschichte gemildert oder gerahmt wird, sondern die Aufrichtigkeit gegenüber der Geschichte zur Voraussetzung hätte (Man kann nicht in Potsdam eine Garnisonkirche wieder aufbauen und  dreist behaupten „man“ hätte aus der Geschichte gelernt).

Schickt die Kinder nicht in die KZs, bevor sie nicht verstehen, was hinter der Tatsache steckt, dass die Mehrzahl der deutschen „Deutschen“ (und nicht nur „Deutschen“, auch einer signifikanten Gruppe von  „Polen“, „Letten“ etc.) an der industriellen Vernichtung von jüdischen Menschen, aber auch von fahrenden Völkern („Zigeuner“), politischen Gegnern und Behinderten („lebensunwerten“) beteiligt waren. Sie zu beobachten heißt damals wie heute mitwirken.

Und benutzt, missbraucht, den Antisemitismus nicht als Separator zwischen dem legitimen und dem illegitimen Teil der Bevölkerung.

Liebe Leser*innen meines Blogs: ich bin ziemlich gut im Einstecken. Aber ich leide auch unter täglichen und aufdringlichen Antisemitismen.  Aber das Leiden erwarten die Spötter und Aggressiven, weil es ihnen Nahrung gitb für die Vermutung, wir seien auf ewig Opfer und zögen daraus Vorteile. Deshalb werde auch ich das Thema nicht los.

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