Ich war zu diesem Tag von Social Impact Leipzig, im Rahmen des Projekts Start Hope @ Home, zu einem Input eingeladen gewesen. Den Kontakt hatte ich ein Jahr zuvor bei einer Diaspora Veranstaltung der GIZ mit Sultana Daliri herstellen können, sie ist an der Organisation in Leipzig beteiligt.
Es geht um einen Diskurs der Rückkehr, manchmal auch Heimkehr, der das Gegenteil der Deportationen und erpressten Rückführungen ist. Wer nach Afghanistan geht, sollte dort eine Zukunft als möglich, als wahrscheinlich erachten. Familie allein ist kein Grund heimzukehren, wenn diese selbst zukunftslos lebt.Patriotismus ist jedenfalls zur Zeit ein schlechtes Motiv. Unzufriedenheit in Deutschland ist oft ein Motiv, dürfte aber die Lebenswelt in Afghanistan für die Frauen nicht verbessern. Klarheit über die Gründe hat sich das Projekt Start Hope @ Home zum Ziel gesetzt, seine Beratung hat einige errfolgreiche „Fälle“ bewirkt, und das ist gut so. Massenhafte Start-up Migration und eine zusätzliche wirtschaftliche Dynamik wird das Programm nicht bewirken, aber es kann auf die Diaspora positiv einwirken.
Das ist der Rahmen für meinen Text, es waren mehr als 30 afghanische Frauen, einige Männer von dort und etliche Personen von hier anwesend, und es wurd gut diskutiert. Kein Frauentag der Sprechblasen.
Eine Zukunft für afghanische Frauen[1]
Leipzig 8. März 2019
Vorgetragen von einem Mann? Ich bitte um Entschuldigung, aber ich habe die Einladung gern angenommen. Am Frauentag soll es eine gute, in die Zukunft weisende Diskussion geben. Sehr geehrte Damen und Herrn, liebe afghanische Frauen!
Wann werden Sie wieder in Afghanistan sein, zurückgekehrt, in Ihre Heimat, zu Ihrer Familie, in das Land, das Sie kennen und lieben? Oder werden Sie für immer hier in Deutschland bleiben, sich immer weniger fremd fühlen, vielleicht einmal nach Afghanistan auf Besuch fahren und sich die Veränderungen im Land anschauen, aber sofort wieder zurückkommen, nach Deutschland, und sagen: Heimat ist hier? Oder Sie sagen: Heimat ist hier und dort. Wenn ich zurückkehre ist es Brain Gain für Afghanistan, aber Brain Drain für Deutschland, wenn ich von Afghanistan weggehe, ist es umgekehrt.
Wenn Sie diese Fragen beantworten, sind Sie schon im Konflikt: denn es gibt auf diese Fragen und Optionen keine eindeutige Antwort. Lassen Sie sich bitte deshalb darauf ein, dass wir heute für einen Augenblick nicht über diese Antworten sprechen, sondern über die Zukunft der Menschen in Afghanistan, und über die Zukunft der Frauen in dieser Gesellschaft, und was diese Zukunft für uns in Deutschland bedeutet.
In der offiziellen Politik ist Afghanistan fast vergessen; gäbe es die unseligen Abschiebungen des Innenministeriums nicht, wäre es ganz aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Nur in der Entwicklungszusammenarbeit gibt es noch einige aktive Beziehungen, wovon ja Social Impact und Start Hope @ Home Zeugnis geben, aber auch da geht es nicht um zahlenmäßig umfangreiche Rückführung oder eine Auflösung der Diaspora. Warum Afghanistan keine große Rolle spielt, zeigt einmal mehr, wie Deutschland im zentralasiatischen Kontext zweitrangig ist und auch keine besonders zukunftshaltige politische Vision für die Region hat, und für die eigene Rolle dort. Auch in den Gesprächen zwischen den USA und den Taleban ist Deutschland nicht eingebunden, übrigens die afghanische Regierung auch nicht.
Hat Afghanistan überhaupt eine Zukunft, die wir uns wünschen können? Ich denke, die Chancen stehen nicht gut, das Land ist unsicher wie selten zuvor, die Errungenschaften an Menschenrechten, Freiheiten und Wohlstand, die in den letzten 18 Jahren gemacht wurden, drohen Stück für Stück wieder zu verschwinden; das Land ist dabei, seinen Anspruch auf eine demokratische Republik im Konzert von demokratischen Partnerländern aufzugeben. Was eine Gesellschaft gut macht, wird von denen, die das Land beherrschen, oft gegen ungleich verteilten Reichtum und einen Fetisch eingetauscht. Der Fetisch heißt Stabilität oder Sicherheit, und Sicherheit regiert das Denken genauso gut wie Geld. Es fehlt an Arbeitsplätzen, Entwicklungsmöglichkeiten, Zukunftsplanung. Das ist eine Seite der Wirklichkeit.
Die andere Seite ist ebenso wichtig und wirklich: Es hat viele Fortschritte, Verbesserungen und Perspektiven gegeben. Kultur und Wirtschaft können sich besser entfalten als früher, Meinungen und Meinungsaustausch sind intensiver. Viele, vor allem jüngere Menschen, haben Gewalt und die Konflikte satt. Sie wollen frei entscheiden können, wie sie leben wollen und was sie dazu tun können, um diese Wünsche zu verwirklichen. Sie wollen sich ihre Lebenspartner, ihre Tätigkeiten, ihr soziales und kulturelles Umfeld weitgehend selbst aussuchen können. Dabei nehmen sie natürlich Rücksicht auf Traditionen, Familie, Religion – aber Rücksicht nehmen heißt nicht, auf die Selbstbestimmung und Entscheidung verzichten.
Nun wissen wir, und Sie alle hier im Raum wissen es, wie stark Tradition, Familie und Religion die afghanische Lebenswelt bestimmen. In allen drei Bereichen sind Frauen noch nicht so frei, wie sie sein müssen, um die Entscheidungen zu treffen und vor allem umzusetzen, sie zu leben. Und dazu reicht es nicht, den Wechsel in eine freiere Gesellschaft einfach zu wollen…
Ganz konkret: Sie wollen ein Start-Up, ein Geschäft oder einen Betrieb in Afghanistan aufmachen. Welche Probleme müssen Sie überwinden, die Männer nicht haben? Sie wollen eine Partnerin oder einen Partner heiraten, der Ihrer Familie nicht gefällt oder nicht Muslim(a) ist: wie können Sie sich durchsetzen? Sie wollen studieren und etwas für ihre künftige Beschäftigung lernen: wie kommen Sie an Geld, Wohnung, Unterstützung und wo sollen Sie studieren, wenn nicht in Afghanistan? Wie wollen Sie all das in einem Umfeld gestalten, das durch Unsicherheit, Gewalt, eine teilweise unwirksame Gesetzgebung und staatliche Verwaltung gekennzeichnet ist, und wo auch noch Patronage, Korruption und lokale Machtauseinandersetzungen hohe Hürden bauen?
Wenn Sie diese Probleme nicht erkannt hätten, wären Sie nicht hier in Deutschland. Sie wissen mehr über diese Probleme als viele Frauen in Afghanistan. Sie leben hier in der Diaspora, in einer ziemlich großen afghanischen Gemeinschaft, die sich aus mehreren sozialen Gruppen zusammensetzt. Wir haben dazu seit Jahren geforscht, und einige der Ergebnisse sind bereits zugänglich. Darüber sind ja auch Frau Sultana Daliri und ich ins Gespräch gekommen. Eine Sache fällt wirklich auf: dass die afghanische Diaspora in Deutschland nicht bereit ist, sich so zu organisieren, dass ihre Interessenvertretung mit einer Stimme spricht. Warum das so ist, können wir diskutieren. Aber welches sind Ihre Interessen, und da frage ich heute konkret Ihre Interessen als Frauen, als berufstätige Frauen, als Asylbewerberinnen, als afghanische Mütter in Deutschland? Und mit wem teilen Sie diese Interessen, und mit wem kommunizieren darüber, hier in Deutschland oder auch über die Medien in Afghanistan?
Solche Diskussionen sind wichtig, unabhängig davon, ob Sie nach Afghanistan zurückkehren wollen, dauerhaft oder nur auf Zeit, ob Sie von hier auf die Lebensverhältnisse in Afghanistan einwirken wollen, oder ob Sie hier bleiben wollen, integriert, und eben beweisen, dass man zugleich Frau, Afghanin und Deutsche sein kann und will.
Den ersten Schritt haben Sie längst gemacht. Sonst wären Sie nicht hier. Daher wissen Sie, wie wichtig es ist sich zu informieren. Offizielles Wissen ist nicht immer hilfreich, aber oft notwendig: Botschaft, Konsulate, Nachrichtendienste, Informationen aus Afghanistan, über Familienmitglieder, Freunde und Geschäftspartner. Darüber muss ich Ihnen gar nichts erzählen, und wie man Information erhält und austauscht, wissen Sie wahrscheinlich besser als ich. Wenn Sie die Frauenvereine kontaktieren, AIWA und AFV, wenn sie Afghanistan Analysts Network (AAN) regelmäßig zu Rate ziehen, wenn Sie über Ihr Netzwerk hier kommunizieren, dann wissen Sie viel, oft viel mehr als die Politik.
Der zweite Schritt ist wichtig: Das Wissen zu verarbeiten, kritisch zu bewerten und auszuwerten: dazu müssen wir uns alle ständig weiterbilden, lernen hört nie auf und Kritik auch nicht. Kritik heißt, sich auch selbst befragen, was an Werten, Traditionen oder schlichten Gewohnheiten so nicht mehr tragbar ist, aber einfach hingenommen wird, weil es immer so war…Tom Koenigs, der Chef von UNAMA 2005 bis 2007, hat auf solche Fragen immer wieder gesagt: Bildung, Bildung, Bildung – und das heißt nicht nur für Sie lebenslanges Lernen hier in Deutschland, sondern politische Einmischung: es muss viel mehr für Schulen und Hochschulen getan werden, viel mehr Entwicklungsgeld und Sachverstand muss da hin gehen, viel mehr Forschung muss betrieben werden, damit dieses lebenslange Lernen in Afghanistan zum Rückgrat der neuen Gesellschaft werden kann. (Statt Bildung sagt ein Teil der Politik immer Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit, und verstehet nicht, dass man damit keine Stabilität erreichen kann). Dazu ist es auch wichtig, dass hier mit den Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten, und sicher gibt es viele Fälle, in denen Sie Lehrerin und Studentin zugleich sein können, hier wie dort.
Dazu ist es sicher im dritten Schritt nötig, sich zu organisieren, und das scheint ja hier gut zu funktionieren. Und trotzdem gibt es hier eine Frage: organisieren Sie sich als Geschäftspersonen, als afghanische und/oder deutsche Staatsbürgerinnen, oder vor allem als Frauen? Diese Frage stelle ich als Mann, und aus der Beobachtung von 50 Jahren Feminismus. Ich halte meine Vorschläge zur Antwort zurück und mache einen politischen Umweg, der allerdings heute sehr wichtig ist.
Als Deutschland, nach der Petersberg-Konferenz 2001, beschloss, massiv zur Intervention von ISAF und OEF beizutragen, mussten nicht nur Parlament und Politik davon überzeugt werden, sondern auch die Öffentlichkeit. Einer der wichtigsten Aspekte eines politischen wie militärischen Engagements war es, die Situation der Frauen in Afghanistan zu verbessern, sozusagen die Menschenrechtsfrage vor allem über die Dimension der Frauenertüchtigung (Empowerment) und Befreiung aus unwürdigen Situationen zu spielen, weil ja die Frauen unter den Taleban besonders schlecht behandelt wurden. Als Motivation mag man das akzeptieren, es wurde aber nicht genau gefragt, ob denn die Situation der Frauen unter den anderen gesellschaftlichen Kräften so viel besser war als unter den Taleban; ob die Stadt-Land-Bewegung nicht für die Frauen ebenso prekär sein würde wie der starke Einfluss religiöser Machthaber, die um ihre Position bangten (Schauen Sie nur auf die Gesetzgebung zum schiitischen Geschlechter-Verhältnis und die Position der Religionsführer zur Sexualität)[2]. Andererseits können wir feststellen, dass nicht nur eine restriktive und diskriminierende Politik herrscht, sondern auch vielfältige, wenn auch oft individuelle und personalisierte Aktionen von Frauen zu ihrer Befreiung erfolgt sind, bisweilen nicht öffentlich und spektakulär: ich habe das selbst an der Universität erlebt und in den internationalen Büros, wo über Arbeit und Austausch mit anderen Kulturen auch neue Einsichten und Empowerment stattgefunden hat. Auch hat Sexualaufklärung viel mit Frauenemanzipation zu tun. Schon 2004 hatte ich erlebt, wie ein sehr guter deutscher Arzt Probleme gemeistert hat, damit er Untersuchungen und Behandlungen an schwerkranken Frauen im Genitalbereich durchführen konnte, ohne dass Männer ihm dabei in den Arm fielen. Vieles davon ist nach wie vor höchst ambivalent. NGOs haben sich im Bereich der Sexualaufklärung verdient gemacht, sie müssen sich natürlich besonders vor Angriffen und Anfeindungen schützen. Auch ist es wichtig, der Religion ebenso Grenzen aufzuzeigen wie der Tradition, vor allem, wenn beides auch dazu dient, die männlichen Positionen unangemessen zu befestigen. Das ist schwierig, ich weiß, und mit Risiken behaftet. Aber auch hier kann frau sich Verbündete schaffen.
Handeln Sie vorrangig als Frauen, und erst in zweiter Linie als Afghaninnen, Mütter, Deutsche, Geschäftsfrauen?
Vielleicht ergeben sich aus den Antworten auf die vielen Fragen auch Ausblicke darauf, wie wir hier in Deutschland und in regelmäßiger Kommunikation mit Afghanistan etwas für die Situation der Frauen in Afghanistan und damit auch hier verbessern können.
[1] Impuls von Michael Daxner bei der Netzwerkveranstaltung von Social Impact Lab Leipzig im Rahmen des Programms Start Hope@ Home am 8.3.2019. à http://www.starthope.eu
[2] Z.B. https://de.search.yahoo.com/search?fr=mcasa&type=E111DE1268G91208&p=frauengesetzgebung+Afghanistan: https://www.emma.de/artikel/afghanistan-ohne-frauenrechte-kein-frieden-316719 ; http://www.spiegel.de/politik/ausland/frauen-in-afghanistan-gesetz-regelt-sexualverkehr-mit-ehemaennern-a-617118.html ; https://de.qantara.de/inhalt/frauenrechte-in-afghanistan-anlass-zur-hoffnung (alle 6.3.2019): ich habe absichtlich ältere Verweise genommen, es ist ja eine lange Zeit seit dem Sturz der Taleban 2001.
Literatur: Michael Daxner: A Society of Intervention. Oldenburg 2017, Kapitel 4. (auch open access oops.bis/uni-oldenburg.de ; Michael Daxner, Silvia Nicola, Frangis Spanta: Afghanische Diaspora in Deutschland. im Auftrag des AA, 2018; Michael Daxner, Silvia Nicola: Prepare-Protect-Promote. Mapping and Report on the Afghan Diaspora in Germany. GIZ 2018