Bella gerant alii, tu felix Austria, nube!
(Kriege mögen die andern führen, du glückliches Österreich, heirate!)
Ursprünglich schon 1364 geprägt, spielt es auf die Hochzeitspolitik von Maximilian I an, der das Habsburger Imperium durch kluge Verheiratungspolitik stärkte und ausbaute.
Mich lässt das Land nicht kalt, in dem ich Teile von Heimat vermute, wenn man diese politisch wie Bloch und lebenswirklich wie in der gesamten Literatur des 19., 20. Und 21. Jahrhunderts versteht. Zur Literatur aber später, und Blochs Heimat, die künftige Demokratie, ist ja wieder ein Stück weiter weg gerückt vom Möglichen.
Austria, dole! Sei betrübt. Was sich da gerade abspielt ist nicht, wie eine Tageszeitung meint, das Pech des Zauberlehrlings Kurz, dem die Mittel, Macht zu steuern und balancieren, ausgegangen sind. Österreichs Abstieg verlief in den letzten Jahren quer zu einem volkswirtschaftlichen Dauerhoch (Pro Kopf Einkommen höher als in Deutschland, noch durch durch eine gute Sozialpolitik abgesichert, die aber in der schwarz-braunen Koalition massiv unter Druck geraten ist (schwarz-braun = türkis-blau – Kurz ÖVP und Strache FPÖ).
Lange davor, also vor 2018, haben die Sozialdemokraten der SPÖ die Fundamente des Rechts- und Sozialstaats unter einem unsäglich schlechten Kanzler Faymann schon angegriffen, gegen mäßigen Widerstand in der Partei; lange davor haben die konservativen der ÖVP zugunsten eines Populismus resigniert, dem es um eine Machtkapsel ging, die eben die Dialektik von konservativ und fortschrittlich nicht mehr wollte, sondern sich in die Bräsigkeit einer von keinen sozialen und moralischen Skrupeln begünstigten Mittellage in Europa flüchtete, die anscheinend der Mehrheit der Bevölkerung gefiel, solange das Geld stimmte und man einen Außenfeind hatte. Der war die EU, von der man so stark profitierte, dass man gar nicht wissen wollte, ob die Kritik in Brüssel überhaupt wahrgenommen wurde, schließlich sind wir ja ein freies Land. Der Feind war die EU, die Flüchtlinge waren nur instrumentell die Feinde, wie früher die Juden oder die Radfahrer. Das nützte der Nazipartei FPÖ (das sind keine Neonazis, sie sind die Erben des deutschen Zweigs des Nationalsozialismus in Österreich, was komisch wirken muss, weil sie ja eine sogenannte österreichiscche Identität brauchen, um vom Pöbel gewählt zu werden: Daham (daheim) statt Islam, dichtete der Innenminister (bis gestern) Kickl. Das alles spricht gegen die ambivalente Aufladung von Identität als Schlüsselbegriff der Gegenwart.
Analysen gibt’s genug. Lest den Falter, den Standard, auch andere Zeitungen, hört und schaut ORF. Stärker als in Deutschland sind die freien Medien unter Druck, nicht nur von Seiten der FPÖ. Aber die stärkste Zeitung ist die Krone. Es ist die Neue Kronenzeitung, neu, weil die 1900 gegründete Zeitung 1959 wieder geründet wurde. Liest man die Geschichte der Zeitung genauer, versteht man etwas vom Zweiten Österreich. Das erste ist ein gefestigt demokratisches, republikanisches Land mit konservativen Mehrheiten außerhalb der großen Städte, mit fortschrittlichen Minderheiten auch auf dem Land, mit hellsichtigen, intellektuellen Kritikern in Literatur und öffentlicher Diskursstrategie, die Deutschland oft an Prägnanz übertreffen (das wäre ein weiteres Kapitel). Darum war mir lange Zeit nicht so richtig bange, obwohl ich die Politik und Kultur genau beobachte – ist ja doch auch meine Heimat.
Was aber jetzt stattfindet, ist ein Theater, das auf einer Cloud aufgeführt wird, man glaubts nicht, weil man es sieht und hinschauen muss. Die Vielzahl von Regisseuren hat sich verknäuelt und alle sind alles: Darsteller, Publikum, Kritiker. Alle, das heißt, die, die sich von Ereignissen überhaupt berührt fühlen (siehe letzten Blog: „Es muass wos gescheng!“ – „Konnst eh nix mochen!“).
Dieses Theater ist wie ein Wetterleuchten, ein Vorbote. Egal, wie man sich vor den Wahlen im September arrangiert. Es ist ein Vorbote einer Implosion, der die selbstkritische und gezielte Verabschiedung von einem „System“ ein erklärbares Ziel ist, eine verstehbare Politik. Einiges davon findet man bei den kleinen Parteien, aber die drei Großen sind fast immun gegen Kritik. Das hat man gestern gesehen. Darum wäre es vermessen, sich wieder eine GroKo ÖVP-SPÖ zu wünschen, oder eine Minderheitsregierung Kurz, kurz vor den Wahlen, oder einen Übergangspremier vom Geiste … je, wessen? Öxit? Wirtschaftswundernostalgie, Sozialpartnerschaft, Besitzstandinseln, …? Was Österreich stärker als andere Länder kennzeichnet: es gibt keinen Fokus, der eine Rückkehr zu … erlaubt. Denn die Bedingungen, unter denen in meiner Jugend Justizreform, Sozialsystem etc. ausgebaut wurden, erscheinen zerstört, die Brücken sind abgerissen (Vergangenheit) oder ragen wie halbfertige Brücken in die Zukunft, die noch ein Abgrund ist. Vorbote im Krieg, den es schon gibt. Und in dem Österreich in der Tat eine befriedende Rolle hätte spielen können – zwischen den Nationalismen das Nachsozialismus im Osten und den Nationalismen des Trumphörigen Westkapitals. Wieder: einiges davon findet man bei den Grünen, den Neos, aber die Lethargie der politischen Selbstwahrnehmung ist weit vorgeschritten. Typisch österreichisch? Nein, nicht wirklich. Da gab es und gibt es immer die Stimmen, die nicht zulassen wollen, dass es so weiter geht. (Ich sagte schon, Literatur, Kunst, auch Medien, und die noch bestehende, wenn auch gefährdete, Kultur der probeweisen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit im Caféhaus – da gibt es wenigstens gute Zeitungen und guten Café).
Ich verliere mich nicht Kitsch der potenziellen Heimkehr, der ja bei jedem Besuch droht, als Kulisse vor Anblicken, auf die ich Deutschland verzichten muss; aber den schüttelt man schnell ab. Denn die Nazis sind ja Realität. FPÖ Koalitionen in etlichen Bundesländern, mit der ÖVP, auch mit der SPÖ. Und es sind gewählte Nazis, gewählte Funktionäre. Ihr Abstand zur Zeit vor 1933 ist geringer als der der ÖVP zu den Austrofaschisten nach 1934. Aber beide Abstände sind zu gering. Und die Sozialdemokraten, die einmal den Stalinismus abwehren konnten, auch theoretisch und ideologiekritisch, haben wenig Zukunft zu bieten.
Natürlich gibt es Hoffnung, wenn auch nicht viel Zuversicht auf baldige Besserung. Die Proteste sind lebendig, und was man an Heimatbezug im Überbau erfährt, stimmt weniger pessimistisch. Jetzt folgt kein Aber. Die Trauerarbeit steht noch aus. Wer sagt, dass sie traurig sich gestalten muss. Immerhin sollten wir uns leisten können zu trauern über den Verlust von Möglichkeiten. Der Möglichkeitssinn ist uns abhanden gekommen? (Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, Kap. 5). Wenn wir uns politisch darauf einigen könnten, was aus diesem Land in absehbarer Zukunft werden könnte, dann darf die Politik testen, was werden kann. Das wenigstens sollten wir denken und dann auch sagen.
Ich enttäusche mit selbst, indem ich mich zwinge, meine Gewährsleute, Literatinnen, Künstlerinnen, Intellektuellen, an dieser Stelle nicht aufzuführen. Es wäre die Werbung an der falschen Stelle: man kann sie hören, lesen, sehen, und soll das.
NB. Da kommt noch etwas, klar: warum ich Österreich verlassen habe, um überhaupt heimkehren zu können, fragmentiert, hat noch viele Geschichten. Ich erinnere wie gestern, wie ich auf dem Schulweg am Kiosk die Werbung für die Neue Kronenzeitung zum ersten Mal sah. Heute weiß ich, wie Populismus auch seinen Anfang nehmen kann.