Das Zentrum für Politische Schönheit hat vor dem Bundestag ein temporäres Denkmal mit der Asche von ermordeten jüdischen Menschen ausgestellt.
Die Meldung dazu (Welt, 4.12.2019):
Antisemitismus-Beauftragter kritisiert Zentrum für Politische Schönheit
Es gibt eine zunächst temporäre Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust, die die Künstlergruppe „Zentrum für politische Schönheit“ gegenüber dem Reichstag errichtet hat. Sie soll mahnend an den Beginn der Nazi-Herrschaft erinnern.
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat die Aktionskünstler kritisiert, die in Berlin eine „Gedenkstätte“ nach eigenen Angaben mit der Asche von Naziopfern errichtet hatten….. „Es wäre gut, wenn das ZPS beim Abbau der Installation einen Rabbiner hinzuzöge, um wenigstens dann für die Beachtung der jüdischen Religionsgesetze zu sorgen. Einen entsprechenden Kontakt kann ich gerne vermitteln“, …
Die Gruppe hatte am Montag in Sichtweite des Reichstagsgebäudes eine „Gedenkstätte“ errichtet, unter anderem mit einer Stahlsäule, die nach Angaben des ZPS Asche von Opfern der Massenmorde der Nazis enthält. An der ausgewählten Stelle hatte der Reichstag 1933 mit breiter Mehrheit für das Ermächtigungsgesetz gestimmt, das der NS-Regierung ermöglichte, den Rechtsstaat auszuhebeln und ihre Diktatur aufzubauen.
Falls tatsächlich Asche jüdischer NS-Opfer verwendet worden sei, hätten die Aktionskünstler nicht zu Ende gedacht. „Es ist erschütternd, dass heutzutage Künstler meinen, zu solch drastischen Mitteln greifen zu müssen, um auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen. Durch das bewusste oder unbewusste Verletzen religiöser Gesetze von Minderheiten tragen sie zur Verrohung der Gesellschaft bei, vor der sie ja eigentlich warnen wollen.“
Der Zentralrat der Juden hatte die Aktion zuvor als ausschließlich aufmerksamkeitsheischend kritisiert. Ein Treffen mit den Künstlern sagte er laut „Rheinischer Post“ ab.
Monat: Dezember 2019
Wieder: Terror der Aktualität
Vor zwei Jahren habe ich das erste Mal zum Terror der Aktualität gebloggt: https://michaeldaxner.com/2017/08/09/anderer-terror/
Fangt erst einmal da an zu lesen. Ich fühle mich ausgesprochen angeätzt vom Terror einer Aktualität, die mir vorkommt wie liegengebliebener Hefeteig (Germteig, klingt wienerisch und besser). Die Welt fällt in Stücke, und Wabo&Saskens geben allen Astrologen Futter, Olaf&Clara stehen schmollend in der Ecke und betrachten ihr politisches Ende mit Verwunderung, die Genossen bangen um ihre Jobs, die CDU bangt um ihre Stabilität. Die Welt fällt in Stücke. Trump erpresst die NATO, Erdögan erpresst Trump, aktuell? Die Chinesen rotten die Uiguren aus, halbwegs, die Deutschen dürfen doch Waffen nach Saudiarabien liefern, sagt ein Gericht, aktuell? Nichts ist wirklich aktuell, das sich in Bahnen immer wiederholt, die vor Zeiten längst ausgeleuchtet waren. Der Fehler: manchmal hatte ich gemeint, dummerweise auch gesagt, dass meine Vorhersagen doch besonders klug sind, in Wirklichkeit war nur das Weiterrücken eines Uhrzeigers in einer absehbaren Entwicklung.
Nicht das schlechte Wetter, die schlechte Aktualität inspiriert mich zu dieser depressiven Abschätzung der Wiederkehr des Immergleichen. Wie oft bei Finis terrae betone ich, dass die einzige Aktualität die des absehbaren Endes der Menschlichen Spezies ist, von dieser Variable kann alles andere sich ableiten – außer der ausgehängten Entwicklung unseres Denk-, Urteil- und Gefühlsvermögens. Was aber in der x-ten Variation wiederkommt, ist nur mehr ironisch oder pathetisch aktuell.
Ein Gedankenexperiment: Angesichts des unabwendbaren Endes unserer Zivilisation bei Erreichen von 3° in, sagen wir, 30 Jahren, ist ja das Einhalten auf dem Weg des so genannten Fortschritts nicht weniger begründbar als hektische Betriebsamkeit. Das politische Gesindel möchte immer noch Ausgleiche – von Ökologie und Ökonomie, von Rauchverbot und Werbeeinnahmen, von Waffenverkäufen und Frieden, etc. als ob uns der ML (nicht Mich leckts, sondern ML-ismus) die falsche Dialektik nicht ebenso ausgetrieben hätte wie der Quietismus der ungleichen Begabungen und Chancenverwertung….30 Jahre. Warum sagt von den Idioten niemand: meine armen Urenkel? Weil sie wenigstens das wissen: sie werden in ungepflegten Gräbern und Urnen nicht auferstehen, ist also egal. Und wenn es zu spät ist, wenn die Urenkel den Aufstand ernst meinen, weil sie merken, was los ist? Das Gedankenexperiment lässt eine neue Deutung von Sysiphos: zwar sind wir dann jenseits 3°, aber wir steuern nunmehr mit Gewalt und übergroßer Solidarität dagegen, und fühlen uns glücklich, d.h. nicht wir, sondern die Urenkel. Die Begründung: man tut, was man tun kann, man „handelt“ im Sinn von H.A., und der Sinn wäre das Glück, weil Überleben zum Beispiel nur fiktiv, nur illusionär sein könnte. Die Aufgabe der sich nicht anzeigenden Rettung ist vielleicht die letzte moralische Tat, und danach – die Metapher gibt’s schon: Verlöschen.
Aber nein: im Terror der Aktualität wird spekuliert, ob sich die SPD erholt, ob wir Airbus subventionieren, ob wir Töten durch Abschiebung dem Töten durch Abweisung vorziehen sollten, und die Kirchen sammeln fleißig für die Ausgestaltung der globalen Krippe, da darf auch AKK spenden.
*
Wo dann die Hoffnung bleibt? Wo sie immer war. Wir haben nur ihr Ergebnis nicht mehr in der Hand. Die Evolution hat schon den christlichen Erlöser ausgebremst, jüdischen Messias gleich gar nicht ankommen lassen, und das Ende der Geschichte als Marionettenshow durchschaut. Bis vor kurzem hatten wir alles in der Hand, und wenig getan, keineswegs nichts, aber zu wenig. Dann haben wir uns auf 2° festgelegt, und siehe da, die sklerotischen Strukturen am Ende unserer Entwicklung schaffen es nicht, uns daran anzupassen, was Harari und andere erhoffen, wenn die künstliche Intelligenz uns überholt. Immerhin gehen wir hoffnungsvoll zugrund.
Jetzt nicht lachen: Bei Rilkes „Kurtisane“ heißt der Schlussvers:
…
…Wer
mich einmal sah, beneidet meinen Hund,
weil sich auf ihm oft in zerstreuter Pause
die Hand, die nie an keiner Glut verkohlt,
die unverwundbare, geschmückt, erholt -.
Und Knaben, Hoffnungen aus altem Hause,
gehn wie an Gift an meinem Mund zugrund.
(1907; damals war noch Hoffnung?)
Nein, lacht nicht: es gibt viele, die diesen Abschied aus der heißen Erde eher anstreben als den Kampf gegen die Vorstellung, nur mit einer Vorahnung, einem Vorwissen über das Ende unserer Nachkommen selbst zu sterben. So, und jetzt zur Tagesschau.
Apfelbaum, Mandelbrot,Komplex
Das Übermaß an schlechten Nachrichten ist die Therapie der Gewalttäter.
Wenn alles so furchtbar ist, dann erscheinen kleinste Kompromisse bereits als Anzeichen für Befreiung oder Erlösung. Dann werden große Worte über das Funktionieren von Demokratie bemüht. Die Menschen werden therapiert, damit sie kein Volk werden, von dem das Recht ausgeht.
Wir ertragen den Schrecken leichter, wenn er ubiquitär, allgegenwärtig ist, und andere härter trifft als uns. Beispiel: Bauernfunktionäre. Zu Lasten der Bauern benimmt sich die Agrarindustrie wie die AfD: unverschämt austeilen und sich zugleich als Opfer stilisieren. Und ähnlich wie alle Rechtsausleger nehmen sie ihre Opfer auch noch mit. Dagegen kann man etwas tun: es gibt bereits mehrere Agrarverbände, die das wüste Gegröle der glyphosat-besoffenen Gülle-Funktionäre nicht mehr mit machen. Und es gibt Robert Habeck, der z.B. heute in zehn Minuten klar und transparent erklärt, was man machen kann, damit die wirklich bedrohten Bauern zu ihrem Recht und wir zu erträglichen Nahrungsmitteln kommen – der Kampf gegen die Giftlobby setzt auch uns Verbaucher unter Druck, zu Recht.
Das Beispiel ist verallgemeinerbar.
Ohne Druck auch auf uns geht es nicht. Wir können rechtslastige Gerichte nicht einfach hinnehmen, weil die Justiz unabhängig ist. NPD-Slogan „Migration tötet“ laut Gericht erlaubt, Wenn ein Gericht zulässt, dass die Nazis „Migration tötet“ plakatieren, weil es die Volksverhetzung nicht nachweisen kann und der Satz teilweise stimmt, dann ist nicht nur die schlechte Juristenausbildung Schuld, sondern die Unfähigkeit von Richtern, einen Kontext zu erkennen. Bei uns dürfen ja auch Richter ohne Führerschein Verkehrsdelikte beurteilen. Aber politisch ist die Sache weniger marginal. Natürlich berufen sich die Nazis, die Meuthens und Gaulands und Cupallas, auf die Meinungsfreiheit. Natürlich…sie pochen auf das Recht, das ihnen qua Rasse, Ideologie oder Anspruch quasi zugewachsen ist (Das ist Gaulands Parteitagsrede im Kern), und genau natürlich empfinden diese Nazis sich ausgegrenzt – zu Recht. Für uns heißt das vor allem, keine Kompromisse in der Kontextfreiheit der Meinungsäußerung zu dulden. Das ist manchmal einfach, wie beim Gießener Urteil (Tagesspiegel online, 2.12.2019), manchmal schwierig, weil Kontexte oft komplizierter sind, als Menschen denken, nicht nur Nazis. Auch die Agrarfrage ist komplexer als der Ruf nach billigen Bio-Produkten. Und Volksverhetzung? Da müssen die Richter Nachhilfeunterricht bekommen, aber nicht bei den elenden Repetitoren, ohne die Juristen ohnehin nicht denken können – Ausnahmen glänzen! – wo Volksverhetzung beginnt, wie ein Kontext erkennbar ist, was man sagen muss, unabhängig davon, ob es andere schmerzt, und was man besser auch dann nicht andeutet, weil es so verletzt, dass die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist. Darin besteht unsere Freiheit.
Aus den Tracker-Demos oder den deutschen Hetzurteilen (auch gegen Renate Künast und andere hat sich die deutsche Justiz vergangen) kann man keine Tage des Schreckens konstruieren. Die werden durch Herrschaften ausgelöst, die hoffentlich bald selbst hinüber sein werden, die sich aber auch rasend schnell fortpflanzen. Die als so genannte Staatschefs, Politiker und Wirtschaftsgiganten beanspruchen, Autorität aus der Macht des Faktischen zu ziehen – zu lasten nicht nur künftiger, auch gegenwärtiger Generationen. He! Das sind wir. Und da ist der Zusammenhang zwischen kontextfreier Argumentation, bei der deutschen Regierung z.B. in Klima-Angelegenheiten oder bei der sozialen Grundsicherung, und dem ganz großen und dem alltäglichen kleinen Schrecken.
Ich denke, dass es für die bei uns noch immer saturierten Mittelschichten auch dann, wenn sie relativ sorgenfrei sich reproduzieren, schwierig ist, den Schritt vom mikro-sozialen Raum zum globalen sozialen Raum zu tun. (Der Glokalismus ist auch ein komplizierter Kontext). Aber es hilft nichts: wir müssen sie immer zugleich bekämpfen, die Seehofers und die Trumps.
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In den Tagen des Schreckens, finis terrae!, ist es falsch, sich die Hoffnung des Apfelbäumchen zu eigen zu machen, das man pflanzt, wenn am Horizont schon Armageddon aufblitzt. „Wenn ich wüsste, daß morgen die Welt unterginge, würde ich doch heute ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Luther hat es ohnedies nicht gesagt, es wird ihm bloß „zugeschrieben“, so wie viel Blödsinn nachträglich autorisiert wird. Aber wir können uns gar nicht genug tun beim Apfelbäumchen pflanzen.
Als die Apfelmännchen der Mandelbrotmengen in die allgemeine kulturelle Ästhetik Eingang fanden (so vor ca. 40 Jahren), da konnte man sich an den fraktalen Kontexten nicht genug tun – es gab viele Bücher dazu und eine schöne Abendunterhaltung der herrlichen Muster. (schaut selbst. http://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/files/2015/02/1280px-Mandel_zoom_00_mandelbrot_set.jpg) . Was hat das damit zu tun? Stellt euch vor, die von mir verlangte Komplexität der Argumente schaut so aus – dann wollt ihr ja auch kein Apfelbäumchen pflanzen angesichts des Weltuntergangs.
Moral: machen wir es nicht so einfach. Schon bei der Agrarpolitik ist die Komplexität von Habeck ein ganzes Regierungsprogramm. Schon bei der angemessenen Gerichtskritik ist die Komplexität der Volksverhetzung (des ggf. daurch erst sichtbaren Volks, so nebenbei) ein gewaltiges Programm. Und man kommt immer bald dazu, nachzufragen wann und wie man mit den Trumps dieser Erde ein Ende machen kann (ich hab noch 300 Namen mehr). Keine Attentate, Politik.