War da ein grüner Plan der EU Vorsitzenden von der Leyen?
Sterben da Flüchtlinge?
Hat die Staatsanwalt alle behördlichen Mitakteure des Missbrauchs von Lügde entlastet?
Ist das Afghanistanabkommen der USA mit den Taliban ein Debakel für Menschenrechte und Frauen?
…Wer noch Fragen hat, steckt sich nicht an.
Egal. HAUPTSACHE WIR HABEN CORONA.
Die meisten Maßnahmen der meisten Regierungen, hier und anderswo, sind nachvollziehbar, meistens vernünftig, manche schnell, manche zu langsam – aber: man wird das überstehen. Dass, wie früher bei Pest und Aussatz, 30% der Bevölkerung schnell dahinscheiden, ist nicht zu erwarten, Corona hat noch keine demographische oder ernsthaft gerontologische Prognose. Ärgerlich, gewiss, für manche gefährlich. Dass die Wirtschaft sich um die Unternehmen sorgt, wer solls dem Kapital übelnehmen.
Aber der öffentliche Diskurs zu Corona ist fatal: als sehnten sich die Menschen nach einer Quarantäne, hinter deren dicken Klostermauern auch die Probleme der Welt verschwinden, Klima, Afghanistan, Syrien, Diktatoren überall, Kriegsgefahr und Zensur. Schon fragen die Medien, ob bei weiterer Ausbreitung des Virus eine Selektion der beatmeten Patienten etwa nach Lebens-Alter erfolgen wird, oder was wir machen, wenn sich Menschen in kleinen Gruppen zusammenrotten, weil ihnen die Folgen der Ansteckung gleichgültig ist.
Vorschlag: Lest alle das Decameron
Corona ist ja nicht die Pest, aber vielleicht doch, schlagzeilenträchtig? Dann ziehen wir uns zurück (7 Frauen und 3 Männer, wie bei Boccaccio), und so wie Sex und Kommerz sich zeitkritisch im 14. Jahrhundert verbunden haben, könnten endlich spannende Geschichten aus unserer globalen Wirklichkeit in der Stille unangesteckter Konversation, womöglich mit Wein & Leckereien, das Virus allegorisch bearbeiten.
Leute, was können der Klimawandel und das Insektensterben schon anrichten, wenn das Spiel der Klubs Union gegen Hertha oder Bayern gegen Frankfurt vor leeren Rängen sich abspielt? Selbst Trump vs. Biden tritt in den Hintergrund.
Nehmen wir an, dieses Virus ist nicht klassenspezifisch gefährlich, d.h. es trifft nicht etwa die hygienebewusste Oberschicht weniger als den Rest der ärmeren Menschen; nehmen wir an, man wird nach einer Ansteckung nicht gleich immun gegen die nächste; nehmen wir an es wird über lange Zeit eine in den Statistiken ganz oben gereihte Ursache für Tod und Siechtum sein, wie die Tuberkulose vor 150 Jahren oder andere Infektionen … nehmen wir an, wir beantworten die eingangs gestellten Fragen mit Politik. Das würde die Behandlung von CoVid19 keineswegs schwächen, aber unser Hirn etwas durchpusten.
Griechenland soll bei der „schwierigen humanitären Lage von etwa 1000 bis 1500 Kindern auf den griechischen Inseln“ unterstützt werden. Es handelt sich laut dem Koalitionsbeschluss um Kinder, die schwer erkrankt oder unbegleitet und jünger als 14 Jahre seien. Auf europäischer Ebene werde derzeit verhandelt, um in eine „Koalition der Willigen“ die Übernahme dieser Kinder zu organisieren. «In diesem Rahmen steht Deutschland bereit, einen angemessenen Anteil zu übernehmen», teilte die Koalition mit. Das Bündnis geht auch auf die Kämpfe im syrischen Idlib ein. Dringend benötigte humanitäre Hilfe müsse vor Ort gebracht werden – Deutschland habe aktuell 125 Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt. SPD-Chefin Saskia Esken zeigte sich auf Twitter „froh“, dass Deutschland sich nun an einer „EU-Koalition der Willigen“ angemessen beteiligen werde. (ARD 20200309, 7.30)
So gut wie nichts. 1500…in diesem Rahmen…
Bitte lest auch:
http://sz.de/1.4835929 von Christine Schlötzer und überlegt, warum die sogenannte SPD Parteiführung die gestrige Niederlage als Erfolg verkauft.
Es wird verhandelt, was seit fünf Jahren zu keinem Ergebnis geführt hat. Die Koalition der Unwilligen, vor allem in Osteuropa, kann weiter Geld abgreifen und nationalistisch hetzen, sie muss nicht humanitär handeln, weil sie nicht dazugehören möchte. Der deutsche Außenminister, das Mäuschen, droht dem Elefanten Erdögan: tu, tu, halt dich an die Verträge. Der rechte griechische Premier wird dafür belohnt, dass man seinem Vorgänger nicht geholfen hat. Und dazwischen sterben die Kinder, die Eltern, die Alten und Kranken.
Seit der türkischen Grenzöffnung hätten wir in Deutschland schon aufgrund der vorliegenden Angebote 10.000 Menschen aufnehmen können – aber da sind das Christentum, das Kreuz an den bayrischen Gefängniswänden, der Schaumgummi im Hirn der SPD und vor allem die Angst vor dem Nazi-Pöbel der AfD im Nacken dagegen.
Es gibt Christen, die reden ganz anders als die Brinkhaus, AKK, und Junge Union, Anders als die SPD Spitze reden die Genossen, die der Wirklichkeit näher stehen als der schwarzen Null.
*In diesem Land der Hamsterkäufe, Klinikdiebstähle, und völkischer Hysterie, weit über die Wählergrenzen der AfD hinaus, in diesem Land wird in der Tat Humanität auf dem Bierdeckel notiert.
*Einzelne Gruppen und Individuen werden weiter helfen, Flüchtlinge aufnehmen und sich sozial gegen diese Regierung illegitimer Duckmäuser auflehnen. Aber wir können die Flüchtlinge nicht einfach hernehmen (Obwohl EU-Tränengas-Betäubte leicht zu transportieren sind). Es ist an der Zeit, sich an Merkel zu erinnern und nicht ihre Zwerghamster-Nachfolger an der Demokratie weiter nagen zu lassen.
*Politisch brauchbare Vorschläge gibt es genug, vor allem, aber nicht nur von den Grünen, Teilen der Kirchen, der Zivilgesellschaft und anderer nicht-völkischer Menschengruppen. Sie sind unmittelbar umsetzbar. Jetzt Druck machen hilft vielleicht einigen, weiterhin im Frieden zu leben, hier. Widerstand ist nie ohne Risiko; aber lässt uns Luft zu atmen, jenseits von Hysterie und Fremdenfeindlichkeit.
Wer nicht weiß, wovon ich schreibe, rufe den Weltspiegel in ARD 1 von gestern Abend auf.
Nachsatz, auch wichtig: die Regierung verspielt die Loyalität der BürgerInnen. Die merken nicht mehr, dass wir nicht mehr loyal sein können und dürfen. Das schreibe ich u.a. deshalb, weil einige Regierungsgener, meist im linken Lager, diese Unfähigkeit der Regierung in einen Kontext stellen, wo es auch um Faschismus und rechte Politik geht. DAS kann man dieser Regierung nicht unterstellen, aber abgrundtiefe moralische Leichtfertigkeit. Sie warten bis die Kinder im Stacheldraht sterben, und dann mimen sie Betrübtheit.
Letzte Meldung:
Die Spitzen der Großen Koalition haben sich darauf verständigt, dass Deutschland gemeinsam mit anderen europäischen Staaten besonders schutzbedürftige Flüchtlingskinder von den griechischen Inseln aufnimmt. Insgesamt sollen zwischen 1.000 und 1.500 aus den völlig überfüllten Lagern geholt werden. „Ordnung und Humanität gehören für uns zusammen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Spitzenmäßige Selbsttäuschung!Allein das Land Berlin hatte sich bereiterklärt, 2.000 Menschen aufzunehmen. (Tagesspiegel online 20200310)
Studiert, forscht, studiert…das ist Moses und die Propheten! Und nicht mehr „“Akkumuliert! Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten!“ (MEW, Bd. 23; Kap. 22). Möchte man meinen.
Ich werde jetzt einmal persönlich, fast autobiographisch kritisch. Über mehr als 30 Jahre war Hochschulpolitik das Zentrum einer wissenschaftlichen Arbeit, die in viele andere Disziplinen ausschwärmte und immer wieder daran festhielt, dass Universitäten und andere Hochschulen reformierbar seien. Ich habe mehrere Bücher dazu geschrieben, hunderte Artikel verfasst, bin in -zig Kommissionen gesessen, habe vorgetragen und … muss sagen, dass alles, was ich erreicht habe, bestenfalls am Rand des deutschen Hochschulsystems wirksam wurde (Uni Oldenburg, Hochschulräte, Grüne Hochschulreformen der 90er Jahre), manchmal auch international, leider nie so nachhaltig, dass man etwas anderes sagen könnte als: seit 40 Jahren befinden sich die Hochschulsysteme weltweit in Stagnation und oft im Abstieg.
Ich selbst habe daraus Konsequenzen für mich gezogen, nach meiner Präsidentschaft in Oldenburg habe ich mich in der Konfliktforschung umorientiert, mit Hochschulen und Wissenschaft als einem Arbeitsgebiet neben anderen (Kosovo, Afghanistan). Ich habe eine zunehmend unwillige Reaktion auf so genannte Hochschulforschung entwickelt, der es in Wirklichkeit um die Rationalisierung sinkender öffentlicher Investitionen in einem überlasteten und teilweise leerdrehenden System geht. Fast bin ich versucht, mich in die SPIEGEL-Kolumne „Früher war alles schlechter“ mit umgekehrtem Vorzeichen einzuschreiben. Aber meine Klage hat neben altersbedingter Frustration auch ganz konkrete Ursachen und Anlässe:
– Der Hochschul- und Wissenschaftsbereich – eigentlich sind es zwei einander widersprechende Bereiche – hat unter der Globalisierung und zugleich den lokalen Konkurrenzbedingungen mehr Schaden genommen als andere Felder öffentlicher Politik.
– Die Ablösung von Wissen durch Kompetenzen und die noch stärkere Berufsorien-tierung der Ausbildungszwecke haben die intellektuellen und ethischen Prämissen gesellschaftlich notwendiger und sinnvoller Politik beschädigt.
– Die Konkurrenz von Hochschulsystem (Verteilung qualifizierter Arbeitskraft) und Wissenschaftssystem (Gewinnung, Kritik und Implementierung neuer Erkenntnisse) wird durch die Politik in keiner Weise koordiniert
– Personen, die in diesen Systemen tätig sind, wie auch zunehmend im Gesundheitssystem, sind herabgewürdigt zu einander konkurrenzierenden Wettläufern um wenige Positionen, die die hier gemachten Feststellungen durch eine gewisse Macht wenigstens zum eigenen Vorteil ausnützen können.
Dazu kommen Memoiren an peinliche Momente meiner eigenen,durchaus erfolgreichen Karriere: die Verachtung, mit der einer der führenden deutschen Philosophen die Hochschuldidaktik abgemeiert hatte, weil sie den hohen Ansprüchen der Wissenschaft nicht genügte; die gleiche Verachtung, mit der halbgebildete Ministerialbeamte meinten, sie dürften die Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie aushebeln; die oft einseitigen Versuche, die Personalsituation an den Hochschulen gerechter zu machen, indem ziemlich einseitig auf Mitbestimmung, aber nicht auf Teilhabe an der Qualität von Forschung und Studium gesetzt wurde. (Nichts gegen Mitbestimmung, aber eben gegen ihre kompensatorische Funktion gegen Qualitätsverlust).
Spätestens jetzt kommt der Einwand: war denn früher die Qualität wirklich höher? NEIN, war sie summa summarum nicht, aber wir waren auch nur 5, 15, 25% eines Jahrgangs, und da haben sich, angesichts sicherer Berufsaussichten, doch stabilere Qualitätern herausgebildet als bei 60, 70 % heute mit geringeren Anreizen zur Qualitätsverbesserung in der Breite. Die paar Elitenquante gabs damals, gibt’s heute unverändert.
WARUM ERZÄHLT ER UNS DAS?
Eines der besten Hochschulsysteme der Welt war das der USA. Unter anderem, weil es „unten“ Community Colleges gab, die den sozialen Aufstieg in das Wissen erleichterten, und weil es „oben“ sehr viel breiter als in Europa höchstklassige Wissenschaft in enger Verbindung von Forschung und Studium (nicht „Lehre“) gab, während in Deutschland und Europa dummerweise fast alle forschende Intelligenz quasi korporatistisch in außeruniversitäre Internate, Max Planck, Helmholtz, Leibniz…. Abgedrängt wird, und den Hochschulen nichts als die Überreste von diesem Tisch überbleiben, und die Aufgabe, diese Forschungsinseln mit Nachwuchs zu versorgen.
Ich will aber über die USA sprechen. Jahrzehntelang habe ich mit anderen versucht, Studierende „von unten“, aus den Community Colleges nach Europa zu bringen, quasi zum Transatlantischen Kulturaustausch und zur kritischen Beurteilung von America first und anderen Überlegenheitspolitiken. (Vgl. Globalcitizenshipalliance.com) -war ja gut. Ebenso lang haben wir die Vorzüge amerikanischer Universitäten, kleiner Studiengruppen, guter Betreuung usw. für unsere Hochschulreform zu nutzen versucht, u.a. in der Personalpolitik, und in der Hochschulautonomie. Nun sind diese beiden Bereiche in den USA gewaltig ins Rutschen geraten, finanziell können die irrwitzig hohen Studiengebühren durch nichts sozial gerechtfertigt werden und immer weniger inhaltlich, und personell hat sich ein biographisch fast auswegloses Unterwerfungssystem eingebürgert, das unter Trump nur noch schlimmer wird, aber keineswegs mit ihm begann. Zugleich gewinnen die identitären Verhaltensmuster (politische Korrektheit + Zensur von Inhalten und ihre kommunizierte Beschreibung) immer mehr an Gewicht. Kein guter Zustand. Dozenten leben jahrelang im eigenen Auto, weil sie sich keine Wohnung leisten können. Adjunct Professors lehren jahrelang ohne jemals die 20.000 $ zu überschreiten (17.000 €…). (Liebe BlogleserInnen: erkundigt euch einmal nach dem Einkommen der deutschen JuniorprofessorInnen). Obama (!) hat angeregt, „to rank American colleges „on who‘s offering the best value so that students and taxpayers get a biggerbang for their buck” (das ginge ja noch), with the chief metric being “how well do graduates do in the workforce?” (NYRB 12.3.2020, S.45). Klingt doch ganz nach Gewerkschaft, nach dem alten Art. 2 des Hochschulrahmengesetzes. Ist es aber nicht. Das hat damit zu tun, dass die dynamische und wissenschaftsbasierte Umsetzung des Studienerfolgs durch das Lehr- und Prüfungswesen der Hochschulen, die Personalpolitik und den ständigen finanziellen Staatseingriff genau das verhindern, was man altmodisch politische Ökonomie der Wissenstransformation bezeichnen könnte. Was Obama, aber auch deutsche Bildungsökonomen viel zu stark betonen, ist die Übernahme des bestehenden Beschäftigungssystems für AbsolventInnen. Wenig Zukunft drin, also Umwegqualifikation über private Elite-Institute oder eben nicht über Hochschulen, deren Bezeichnung „Tertiärer Sektor“ schon für sich eine Beleidigung von Wissenschaft ist.
ABER. DA GIBT ES EINE DIALEKTIK.
Wenn es in den USA und bei uns gleichermaßen so mies ist, warum ist auf dem akadmeischen Feld (Arbeitsmarkt + gebildeter Diskurs + forschungsbasierte Innovation) doch so viel los und nicht alles den Bach runtergegangen?
Tatsächlich gibt es ein Maß an Subversion und kontrafaktischer Praxis von Lehrenden, Studierenden, seltener Hochschulverwaltungen und fast nie Ministerien, aber selbst dort: Subversion heißt, die Finanzkürzungen und Reglementierungen zu unterlaufen. Mit einigem persönlichen Risiko und einer wie auch immer angeeigneten Systemkenntnis von Wissenschaft und Bildungssystem. Ich kenne wunderbare Seminare, Projekte, Partizipation innerhalb von Forschung, Kooperation mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die allesamt ohne zusätzliche Verlierer funktionieren. An fast allen Hochschulen. Und viele dieser Aktivitäten werden dann in die weitgehend blödsinnigen und inhaltsleeren Prüfungsordnungen gepresst, Etikettiert etc. Überfüllungen werden listig austariert, didaktrische Hilfen und Digitalisierung führen dann nicht immer zu Ersatz.
Also alles nicht so schlimm?
Doch, aber man hat sich seit Metternich so auf die Staatsintervention einerseits, den privaten Pull-Effekt nach konformer Arbeitnehmerschaft unter den AbsolventInnen gewöhnt, dass echte Hochschulreformen von den zuständigen Politikern und Abteilungsleitern und Ordinarien gerne als utopisch bezeichnet werden.
Und heute sehe ich in dieser Subversion eine Chance, das Leben an der Uni-versität erträglich zu machen, allerdings wirklich erträglich nur für die, denen die Einkommensverhältnisse ein ordentliches Weiterkommen erlauben. Wer kennt nicht die, die auf der Strecke bleiben? Sie sind vielleicht die Wichtigsten, die für die Wissenschaft und Studienkultur verloren sind.
Nachsatz: auch in Hochsicherheitsgefängnissen gibt es Theater AGs und Sportgruppen.
Nachsatz 2: Lest zu den USA: Charles Petersen: Serfs of Academe. New York Review ob Books, 12.3.2020, 42-45, mit elf wichtigen Besprechungen. Soviel Literatur zu deutschen Hochschulen gibt es seit langem nicht mehr.
Tausende Flüchtlinge stehen an der türkisch griechischen Grenze vor dem Ende ihres Lebensschicksals.
Es werden mehr werden, und wenn sich die afghanische Situation weiter so entwickelt, werden von dort weitere Zig-tausende richtung Europa, richtung Überleben fliehen. Die deutsche Debatte wird unter der Decke geführt, die meisten nutzen die Corona-Hysterie, um sich vor dem Anschein von Humanität zu schützen. (Ausnahme u.a. der EU-Grünen Politiker Marquardt und einige wenige andere).
Ich gebe einige Stimmen aus Österreich wieder, damit die kleinen Variationen zu unserer deutschen Politik deutlich werden. Aber im Prinzip sind die Verhältnisse analog, nur grenzt Deutschland nicht an die prekären Außenstaaten des Westbalkan, und Bayern ist, was Grenzen betrifft, nicht Deutschland.
Also zunächst…
Stimmen aus Österreich 3.-4.3.2020 (Quelle ORF)
Versäumnisse holen EU ein
Die eskalierende Situation an der türkischen-griechischen Grenze weckt Erinnerungen an die Flüchtlingskrise 2015 – auch wenn die Situation heute mit der von damals vorerst kaum vergleichbar ist. Für Experten und Kommentatoren ist die Eskalation nun vor allem eines, nämlich eine Folge der politischen Versäumnisse Europas.
Van der Bellen für Aufnahme Geflüchteter
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht Österreich als Teil der EU gefordert, einen größeren Beitrag bei der Lösung der aktuellen Flüchtlingskrise in der Türkei bzw. in Griechenland zu leisten. Eine „Koalition der Willigen“ würde er gerne unterstützen, sagte er am Dienstag im ORF-„Report“, das Land sollte sich „in bestimmtem Ausmaß“ an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen.
Online seit gestern, 23.41 Uhr
Kinder und Frauen sollten dabei Priorität haben, äußerte er Unterstützung für die Haltung von Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler. Solange zumindest auf ersten Blick ein Asylgrund gegeben sei, sollte Österreich Flüchtlinge aufnehmen. Er erinnerte auch daran, dass viele Asylunterkünfte hierzulande wieder leerstünden. Man habe die Situation im Griff, sagte er zu den Folgen des Flüchtlingsandrangs 2015, wenn es auch Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt gebe.
Zur aktuellen Situation international sagte er, die Lage etwa auf der griechischen Insel Lesbos werde als katastrophal beschrieben. „Die Griechen mit dieser Art von Überbesetzung allein zu lassen widerspricht dem europäischen Gedanken zutiefst“, sagte der Bundespräsident. Auch mit der Türkei müsse man reden und dabei „bei der Sprache ein bisschen zurückdrehen“. Nicht alles könne man polemisch abtun, schließlich habe die Türkei eine sehr große Zahl betroffener Menschen aufgenommen.
Mehr Hilfe „ansatzweise“ im Regierungsprogramm
Die nun von der türkis-grünen Koalition beschlossenen drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds für die syrische Region Idlib reichen laut Van der Bellen wahrscheinlich nicht. Mehr Hilfe zu leisten stehe „ansatzweise“ im Regierungsprogramm, so der Bundespräsident: „Ich würde mich freuen, wenn es auch umgesetzt wird.“
EU verspricht Griechenland Unterstützung
Dass die offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen ÖVP und den Grünen in diesen Fragen die Koalition belasteten, wollte Van der Bellen nicht sehen: „Lassen wir die Kirche im Dorf. Bei jeder Meinungsverschiedenheit davon zu reden, dass die Koalition gespalten ist, würde ich auch nicht tun.“
Regierung: „Volle Unterstützung“ für Athen
Die ÖVP-Grünen-Regierung hat am Dienstag die jüngsten Entwicklungen an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei besprochen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Kogler (Grüne) verurteilten den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der Flüchtlinge für seine Zwecke missbrauche. Österreich will Griechenland beim Grenzschutz unterstützen und Menschen in Syrien helfen.
Griechenland wurde von der Regierungsspitze „volle Unterstützung“ zugesichert. Kurz sprach von einem finanziellen Beitrag und von einem „Beitrag mit Polizisten und Polizistinnen“ für den Grenzschutz. Man sei zudem in Kontakt mit den Westbalkan-Staaten, falls die Grenze zu Griechenland „durchbrochen“ wird. Außerdem sollen drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds für Menschen in Syrien, auch jene in der stark umkämpfen Stadt Idlib, bereitgestellt werden. Das ist laut Kurz die größte Ausschüttung für ein Land seit Bestehen des Fonds. Die Hilfe soll über das Internationale Komitee vom Roten Kreuz laufen.
Kurz: Druck auf Erdogan ausüben
Der türkische Präsident Erdogan hatte am Wochenende die Grenzen zur EU für Flüchtlinge öffnen lassen. Er begründete das damit, dass die Europäische Union ihre Verpflichtungen aus dem Flüchtlingspakt mit der Türkei von 2016 nicht einhalte. Seither versuchten Tausende Flüchtlinge, über die türkisch-griechische Grenze in die EU zu gelangen. Griechische Grenzschützer hielten am Wochenende etwa 10.000 Menschen vom Grenzübertritt ab. Am Montag drohte Erdogan, die Grenzen blieben offen. Es sei nun an der EU, ihren „Teil der Last“ in der Flüchtlingskrise zu tragen.
APA/Roland Schlager An der Pressekonferenz nach der Arbeitssitzung nahmen Vizekanzler Kogler, Bundeskanzler Kurz und Innenminister Nehammer teil
Sowohl Kurz als auch Vizekanzler Kogler machten Erdogan für die aktuelle Lage an der EU-Außengrenze verantwortlich. Laut Kurz gab es vor einer Woche nämlich noch „keine humanitäre Krise in der Türkei“. Seit dem Wochenende erlebe man aber eine „massive Zuspitzung an der Grenze zu Griechenland“, so der Bundeskanzler. Das deute darauf hin, dass der „Ansturm von Migranten ganz gezielt“ stattfinde. „Dieser Ansturm ist kein Zufall, er ist organisiert“, sagte Kurz.
Wenn man nun den Druck von Erdogan nachgäbe, würden „Hunderttausende“ nachkommen, ein „Europa ohne Grenzen“ wäre dann Geschichte, sagte Kurz weiter. „Es braucht gemeinsam Druck auf die Türkei, dass Präsident Erdogan dieses menschenunwürdige Verhalten ändert und Migranten nicht missbraucht.“ Österreich werde sich „massiv“ hinter Griechenland stellen und in der EU fordern, dass man gegen Erdogen „vorgeht“.
Kogler: „Menschlichkeit und Ordnung“
Vizekanzler Kogler pochte auf „Menschlichkeit und Ordnung“. Es sei eine „massive Provokation“, dass man auf dem Rücken der Menschen Politik mache. „Erdogan missbraucht Menschen“, so Kogler. Aber als Europäische Union habe man die Verantwortung, dass der Flüchtlingspakt mit der Türkei verlängert wird. Man dürfe sich nicht erpressen lassen, gleichzeitig müsse man die Situation in der Türkei für Flüchtlinge verbessern – „aus grüner Sicht danach trachten, dass an der Stabilität in der Türkei was getan wird“, sagte der Vizekanzler.
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: IOM
Der Vorstoß Koglers zur Aufnahme von Frauen und Kindern aus überfüllten Flüchtlingsquartieren auf griechischen Inseln ist wieder vom Tisch. Kogler bezeichnete diesen Vorschlag bei der Pressekonferenz als private Meinung: In der Regierung sei man eben „nicht so weit“. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hatte den Vorschlag Koglers schon zuvor zurückgewiesen. „Wir haben nicht vereinbart, dass wir Frauen oder Kinder zusätzlich nach Österreich holen“, so der ÖVP-Politiker am Montagabend.
37:05 Am Dienstag sagte Nehammer, dass Österreich noch von der Krise 2015 belastet sei. Österreich trage eine große Verantwortung und dürfe nicht „überbelastet“ werden. Der Innenminister sagte, dass die Zusammenarbeit mit den EU-Partnern funktioniere. Falls es zu einem „Durchbruch“ an der griechischen Grenze komme, werde der Grenzschutz in den West- und Ostbalkan-Ländern gesichert. Für den nationalen Grenzschutz würden alle notwendigen Maßnahmen getroffen, so Nehammer. Man habe aus 2015 gelernt.
SPÖ für UNO-Unterstützung, FPÖ fordert Grenzübung
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner verlangte angesichts der aktuellen Lage in Syrien und in der Türkei sowohl von der Bundesregierung als auch von der EU rasches Handeln. Abgesehen von Soforthilfe brauche es auch ein Gesamtkonzept und dazu eine starke einheitliche europäische Linie. Wichtig seien die Etablierung eines funktionierenden Außengrenzschutzes sowie einheitliche EU-Asylverfahren. Um hier eine gemeinsame Linie zu finden, plädierte Rendi-Wagner einmal mehr für einen EU-Sondergipfel. Bei der humanitären Hilfe warb sie für eine UNO-Unterstützung.
Die FPÖ, die zuletzt gefordert hatte, an den Grenzen notfalls mit Wasserwerfern, Gummigeschoßen und Warnschüssen gegen Flüchtlinge vorzugehen, forderte am Dienstag Übungen von Polizei und Bundesheer, „um sicherzustellen, dass das System funktioniert“. „Das wäre zugleich auch ein Signal an die Balkan-Staaten, aber auch an die österreichische Bevölkerung, um zu zeigen, dass Österreich bereit ist, den Worten auch Taten folgen zu lassen“, so FPÖ-Klubchef Herbert Kickl in einer Aussendung. Unzufrieden ist er auch damit, dass Soldaten im Assistenzeinsatz keine selbstständigen Personenkontrollen und Fahrzeuganhaltungen durchführen dürfen.
Für ein „Relocation-Programm“ sprach sich einmal mehr NEOS aus. „Das System in Griechenland muss effizient und human aufgestellt werden und die Menschen aufs Festland gebracht werden“, forderte die NEOS-Sprecherin für Inneres und Migration, Stephanie Krisper. Würde die Europäische Union 5.000 Menschen aufnehmen, bedeute das für Österreich 105 Personen. „Die Regierung muss ihre Kampfrhetorik dringend zurückfahren und zu konstruktiven, europäischen Lösungen zurückkehren“, so Krisper.
Meine Überlegungen dazu, unvollständig – dies ist ein Blog – aber auch bitter. Mehr Empathie wäre notwendig, reicht aber nicht. Menschlichkeit ist dringend erforderlich, gibt aber aus sich heraus wenig politische Rezepte. Also, was tun? Machtausübung will geplant sein, wir haben es mit eigenen Versäumnissen und mit vielschichtigen Gegnern und nicht hinreichend gewürdigten Partnern zu tun.
Empathie: es ist wichtig, sich in die Situation der Flüchtlinge hineinzuversetzen, diese nachzuvollziehen. Die Grenze ist allerdings, wenn diese Empathie die Ursachen der Flucht „ontologisch“ abtrennt, d.h. sie als Fakten i.S. das ist eben so, hinnehmen will, weil man früher nicht gehandelt hat. Von den Geflüchteten aus Idlib wären die wenigsten aus ihrer Heimat geflohen, hätten wir schon 2012 mit VN und NATO eingegriffen, GEGEN Assad, Putin, Iran und IS auf diesem Territorium. Damals wäre das möglich gewesen. Und mit guten Gründen.
Erdögan ist ein autoritärer, um nicht zu sagen faschistischer, Gegner westlicher Demokratien. Es macht Sinn, ihn dafür zu kritisieren und ggf. zu sanktionieren. Aber seine Flüchtlingsargumente sind die gleichen, die die Deutschen (2015) und Österreicher (2015) und andere brauchen: diese Länder haben ja hundert tausende Flüchtlinge aufgenommen, im Gegensatz zu den Klerikofaschisten in Teilen Osteuropas, aber nicht nur dort. Also muss man mit Erdögan verhandeln, das Abkommen modifizieren, nicht kündigen, wie manche Linke fordern.
Mit Griechenland muss man auch verhandeln. Einfach mal 700 mio € rüberschieben ist die alte Taktik der Reichen. Lesbos u.a. geht wirklich nicht, also: EU Asylämter vor Ort, Erstentscheidungen innerhalb von 48 Stunden – und ja, auch wenn es weh tut, die gänzlich abgelehnten zurückschicken. Das ist übrigens bei syrischen Menschen anders als bei afghanischen, und für andere Herkunftsländer gilt auch nur eines:
Fluchtursachen in der Herkunftsländern beseitigen, das ist langfristig. Bei Fluchtanlässen schnell handeln (Dass Trump und die Taliban jetzt eine Flüchtlingswelle von Afghanistan in Gang gesetzt haben, macht eigentlich starkes VN-Eingreifen notwendig und keinen Abzug von nicht-US Truppen, wenn sie es denn können…Mit Syrien ist das anders: da muss es mehr Druck auf Putin als auf Erdögan geben…
Für alle gilt, was Günther (CDU, SH) fordert: eine große Menge von Jugendlichen, Kranken, alleinstehenden Frauen und Alten sofort und komplikationslos herholen. Es gibt mehr aufnahmebereite Kommunen als das zusätzliche Belastungen schafft. Und hier muss die EU, anstatt mit dem Hubschrauber Geld durch Überfliegen zu versprechen, Quoten verteilen oder die Verweigerer von weiteren Geldströmen abschneiden.
Frontex könnte sehr hilfreich sein, wenn es nicht nach der Pfeife der rechten Griechen tanzt, siehe 3. Das ist nicht ganz „Festung Europa“, aber es ist auch eine Ergänzung zu Empathie und gutem Willen, weil wir natürlich an den Außengrenzen, vielleicht nur dort, Rechte und Pflichten für alle Ankommenden rechtsstaatlich und ohne Tränengas und Knüppel durchsetzen und endlich
Asyl von Notfallmigration trennen: Asyl muss sich auf politische Verfolgung konzentrieren und zwar ohne jedes ethnische oder opportune Wenn und Aber. Notfallmigration bedeutet, siehe 1., dass wir Menschen ohne Zukunft in ihrem Herkunftsland wenigstens darin unterstützen, würdige zu überleben, und das kann in vielen Tätigkeiten genau zu einer Immigration, sei es auf Zeit führen. Wenn Seehofer, ausgerechnet der, den Maßstab wörtlich als Nützlichkeit für uns definiert, dann wünsche ich ihm ein paar Monate Hunger und Stacheldraht. Es geht um Nützlichkeit für diese armen Menschen, um Ausbildung, Nahrung und Bildung. Und dann sollen sie auch zu uns kommen, bevor die Gerontokratie der über 70jährigen die 50% Marke überschreitet.
David Maass ist Gewerkschafter (bei der echten GdP, nicht bei Rainer Wendts rechter Truppe), Jurist und Antifaschist. Er kritisiert die AfD. Gegen ihn wird sofort ermittelt, während sich die Ermittlungen und Verfahren gegen rechtsradikale Polizisten langsam, zögerlich, ich sage: zaghaft, entfalten.
Nun, Maass hat tatsächlich nichts zu befürchten und wird auch nicht zurückstecken. Die breite Solidarität tut nicht nur ihm gut.
*
Der Staat – äh, „unser“ Staat – hat lange Zeit weggeschaut, wie seine Sicherheitsorgane (und die Bundeswehr) stabile rechte und rechtsradikale Zellen aufgebaut haben. Ich wurde selbst angegriffen, als ich den Verfassungsschutz vor zehn Jahren (NSU!), als Vorfeldorganisation der Rechtsradikalen bezeichnet hatte. Dies ist kein Problem von Verführern und Verführten, von Meinungsgezeiten, die jetzt eben Personen nach rechts driften lassen, gabs auch mal nach links, dies ist auch ein Feld, in dem klare Worte, aber keine spiegelbildlichen Beschimpfungen nützen.
Zu den klaren Worten gehört: die AfD ist eine Nazipartei, keine Neonazipartei. Ich sage das und belege es, wenn nötig überall. Ich muss dazu nicht mit den Nazis reden, sondern mit interessierten Menschen, die nicht einfach Bevölkerung sind, sondern Öffentlichkeit, Citoyens. Da muss und kann man Namen nennen, nicht immer NUR Höcke, da gehören Gauland, Weidel, Chrupalla, Kalbitz und viele andere dazu. Nun lässt sich wissenschaftlich belegen, was durch Allgemeinwissen und Bilduzng auch gekannt werden kann; aber die Wissenschaft wird ja in der juristischen und medialen Auseinandersetzung zu wenig befragt. Nazipartei: die NSDAP VOR ca. 1930. Wir können die AfD nicht von der Shoah her denken, sondern ihre Genese verfolgen, und die ist analog. (Ich weiß schon, ES GIBT UNTERSCHIEDE: baer ich bestehe auf der Analogie, weil es Strukturen sind, die sich weniger in der Basis als im Überbau entwickelt haben und weiter entwickeln, und leider nicht nur auf die AfD beschränkt sind).
*
Solidarität mit David Maass, Kampf gegen Maassen und andere Rechte, das ist das Eine. Das Andere ist ein Rundblick: Trumps fataler Sieg in Israel, der nicht nur den Palästinensern schadet, sondern auch der jüdischen Demokratie schaden wird und das Lager der Feinde Israels stärkt. Die zahme Reaktion innerhalb der EU auf nachweislich faschistische Regime in Polen und Ungarn, nur weil die „noch nicht so weit“ sind. Das erinnert an die juristische Formel, dass erst einmal etwas geschehen sein muss, bevor man durchgreifen darf…das ist zu flexibel. Die Unfähigkeit unserer Regierung, den Zusammenhang zwischen Flüchtlingspolitik und der gleichzeitigen Gegnerschaft zu Erdögan und Putin auch nur zu vermitteln, geschweige denn politisch einzugreifen.
Solidarität heißt handeln. Dem muss viel stärker ein Reden vorausgehen, wenn wir etwas zu sagen haben. In diesem Fall ist es klar. Es bestehen Zusammenhänge zwischen dem einen Fall Maass und einer Welt augenscheinlicher Triumphe von Gewalttätern, die sich noch auf demokratische Wahlen berufen, aber das Ende der Demokratie offen auf ihren Fahnen haben. Meist die Nation, manchmal auch Gott, immer die illegitime Herrschaft.
N.B.: die wirklich wichtigen Themen, also auch dieses, verschwinden hinter dem Coronavirus: Klima, Armut und Flucht. Handeln heißt, auch unsere Staatsdiener auf die richtige Spur zu setzen, das wichtigste zuerst zu tun. Dann bleibt noch immer genügend Platz für alles andere, und das meine ich: ALLES andere.
Na endlich. Die ZEIT, unsere fortschrittlichste Wochenzeitung, hat das Ende der Monogamie theoretisch, empirisch, normativ eingeläutet. Selbst des fremden Blindgängers Seehofers Ausflüge ins Andere haben seiner Ehe nicht geschadet, und überhaupt, lasst sie doch… Dass nur die Gossenpresse sich über eheliche Untreue echauffiert, ist ja auch gut, sonst stünden ja nur Kochrezepte und Kreuzworträtsel drin.
Anthropologisch und psychologisch wird allerdings zur Monogamie und sexuellen Treue nichts Gründliches erklärt, ist auch besser so. Denn dann müsste man über Geschlechterverhältnisse, Macht, Missbrauch, #MeToo, und die Weltliteratur schreiben, – wozu ein Journal weder Umfang noch genügend Adressaten hat.
Wollt ihr lachen:
Hogamous, Higamous, Man is polygamous, Higamous, Hogamous, Woman is monagamous.
https://quoteinvestigator.com/2012/03/28/hogamous/ (n+1 Herkunftsgeschichten, viele mit Drogen). Auch muss man berechnen, wie viele Paarungen auf diese Weise tatsächlich zusammenkommen. Und das gilt nicht nur für Sex.
Dass sich die verschiedenen Aufsätze allerdings auf das Verhältnis von Mann und Frau konzentrieren, ist zwar pikant, aber eng. Ich schreibe jetzt einmal über erweiterte Monogamien.
POLITISCHE MONOGAMIE
Die Verbindung konservativer und (neo)liberaler Parteien mit der Mitte. Damit ist ein Abgrenzung gegen die extremistischen oder radikalen linken und rechten Ränder gemeint. Weniger Begabte, wie Ziemiak und AKK lesen aus dem CDU Beschluss Äquidistanz zwischen Linkspartei und den Nazis von der AfD, und sie behaupten, Beschluss sei Beschluss und deshalb verbindlich. Dass sie die Demokratie nicht verstehen …. Gebongt. Dass sie aber die geschichtlichen und die gegenwärtigen Analogien und Differenzen nicht wahrnehmen, begünstigt die Nazis. Vgl. Emil Julius Gumbel: Vier Jahre politischer Mord. Verlag der neuen Gesellschaft, Berlin-Fichtenau 1922, und dazu den sogenannten Gewerkschaftsführer Rainer Wendt, den Jahre lang geduldeten Verfassungsschützer Maassen, und bis vor Kurzem Herrn Seehofer. Die Mitte ist kein Punkt, sondern nach rechts fluide und aufnahmebereit. Die „linke Mitte“ hat immer instabile Koalitionen wegen zu großer Überschneidungen in vielen Politikfeldern, die „recht Mitte“ ist rechts und dort, wo man leicht treu sein kann, weil man die Ausflüge der Partner in die radikalen Freudenhäuser gern übersieht. Solche Ehen sind haltbar.
KULTURELLE MONOGAMIE
Meist in die Nähe politischer Korrektheit gerückt, und deshalb schon akzeptabel gemacht. Damals: Wer für die Beatles war, durfte nicht für die Stones sein, und heute das Ewige: waaas? DIE gefällt dir? Durchzieht die Geschmäcker. Nun soll man nicht über Pluralismus reden, wenn man Vielfalt meint. Aber die Verstümmelung des Geschmacks durch moralische und politische Vorgaben ist umso bemerkenswerter, als sie ja Urteilskraft und Kritikfähigkeit gleichermaßen auf die Probe stellt. Danach dürften wir einerseits, weil es eine schlechte Serie ist, nie Tatort gesehen haben oder Sportschau oder Shopping Queen, andererseits uns aber über die Gebührendiskussion aufregen, weil so viel Mist aus den Gebühren gesaugt wird: (das regt mich bei jeder Gebührendiskussion auf). Aber die tollsten Sachen sind ja die von Korrektheit gesäuberten Shakespeares, Nabokovs, und sonstigen in die Nähe von Sex gerückten Kulturleistungen, die uns sozusagen einen geschlechtsübergreifenden Oberlippenbart in die Geschmacksseele wachsen lassen und – wo bleiben wir? Beim Treueversprechen der Regie, immer das Gleiche anzubieten, damit alle Dieselben bleiben.
ALLE ANDEREN MONOGAMIEN
Das ist ein Blog und keine Philosophie-Einführung, obwohl ja Ratgeber monogamistisch sind, und immer nur eine korrekte Verhaltensweise anpreisen. Monogamie ist eine Form von Bindung, die man eingeht oder nicht; Motive, Trieb- und Push/Pull-Elemente schieben einen immer wieder zur Alternativlosigkeit im Anspruch, auch wenn er nicht durchzuhalten ist oder man ihn gar nicht durchhalten will. Das ist bei Kunst genauso wie bei Sex, Beziehungen und anderen Bindungen. Der ZEIT sei Dank, dass sie diese Pandorabüchse aufgemacht hat.
Gesetze, Moralisieren, Religion und Diktate nutzen nichts. Wie einer der guten Philosophen sagt: Politik ist nicht Meinung, sondern Denken. Auch wenn man noch so gern will, einiges läßt sich nicht erinnern, sondern nur denken, mono oder poly…
Zum Umgang mit dem Mosaik am Potsdamer Rechenzentrum
Tagung am 28.Februar – 29.Februar 2020
Die sozialistische Utopie im Lichte der Gegenwart. Ernst Bloch
Michael Daxner
Potsdam
BLOG VERSION 1. März 2020
Burghart Schmidt, der im Programm angekündigt war, konnte nicht kommen. Ich bin für ihn eingesprungen, ohne dass ich ihn ersetzen kann. Das ist wichtig zu sagen, weil er sich in den Kontext der Mosaik-Diskussion eingearbeitet hatte und sicherlich aus dem Bereich der Theorie und Kritik eines Kunstwerks der DDR im Kontext seines weiten Rahmens in der Nachfolge und Weiterentwicklung von Ernst Bloch ein ganz anderes Profil geprägt hätte. Er war Assistent, Begleiter, Herausgeber für Ernst Bloch und hat sich in den letzten 40 Jahren einen eigenen, unverwechselbaren Namen in der politischen Ästhetik und Philosophie gemacht Dass er hier nicht spricht, macht mich traurig, und ihn ersetzen kann ich nicht. Aber dass ich statt seiner etwas zum Fortschritt, zu Ernst Bloch etwas sagen kann, macht mir Freude, und mit dem Rechenzentrum und dem Mosaik bin ich ja seit längerer Zeit intensiv befasst.
Im Anhang findet sich ein Klappentext von Schmidts geplantem Vortrag und der Hinweis, dass die geneigten LeserInnen bei aktuellen Namen sehen können, auch auf welche TeilnehmerInnen ich anspiele. Weitere Beiträge der Tagung werden in den nächsten Tagen im Netz zugänglich sein. Vielleicht entwickelt sich ein Sammelband.
Die sozialistische Utopie im Lichte der Gegenwart. Ernst Bloch
Ceci n’est pas eun chateau
Das hier ist kein Schloss. Anette Paul in ihrer Inschrift Kunstam Bau des nachgebauten ehemaligen Stadtschlosses, jetzt Landtag von Brandenburg.
(Vgl. den Vortrag von Birgit Seemann zur Kulissenstadt Potsdam)
Moi je ne suis pas Burghart Schmidt
Wie eingangs angedeutet, vertrete ich meinen Freund Burghart Schmidt, aber ich kann ihn nur anmutend einfügen und zitieren,
nicht nachahmen.
Hoffnung ist nicht Zuversicht
Einer der wichtigsten Sätze von Ernst Bloch, und Leitsatz für mein Leben und Denken.
(In ca. 20 Variationen immer wieder gebraucht)
Kunst und Kultur der DDR können heute, der Unmittelbarkeit ihrer Produktion und Rezeption entzogen, sich auch vor der gefährlichen Nähe der Betrachtung schützen, eine von Bloch gebrauchte Metapher: wenn du zu nahe bist, siehst du nichts oder zu wenig. Seit 15 Jahren lebe ich in Potsdam, und die Zeit hat mich der Wirklichkeit dieser Stadt und ihrer Geschichte umso nähergebracht, als ich ihre Erscheinungen nicht mehr aus der Differenz und Reibung der beiden Systeme aneinander verstehen wollte. Aber sie hat mir auch die nötige Distanz verschafft, den urbanen Raum, seine Sichtachsen und Strukturen ohne die erdrückenden Reibung aus der Zeit der deutschen Vereinigung in jedem Überrest der DDR zu sehen. Auch, und das ist mir seit Jahren wichtig, die Oppositionen und Analogien der sozialistischen Kunst und der vorgängigen nationalsozialistischen/faschistischen Kunst können aus der Distanz genauer und zugleich weniger personalisiert diskutiert werden. Diesen Diskursstrang zu beschweigen macht jedenfalls keinen Sinn, weil bei vielen rekonstruierten Fassaden der neuen Mitte und anderswo alle möglichen Elemente dieses Problems sichtbar werden[1].
Bloch (1885-1977) war 63 Jahre alt, als er, nach dem Exil in den USA, den Ruf auf den Leipziger Lehrstuhl annahm und bekam (1948), und 76, als er nach Tübingen im Westen ging (1961). Unser Thema, worüber wir heute und morgen sprechen, der Fortschritt, hat ihn wie kaum ein anderes ein Leben lang beschäftigt. Und ihn gegen jede vulgärmarxistische Fortschritts-Apotheose schon immun gemacht, als es die Fortschrittskritiker ausgeprägt noch gar nicht im Westen gab (das hieß bei mir noch Atome für den Frieden, wie bei den meisten Linken[2]). Bloch hat mich 50 Jahre lang begleitet, wissenschaftlich, aber auch politisch: dass es einen besseren und zukunftsorientieren Sozialismus als den der SED geben kann, hat mich über lange Zeit angetrieben, mit Bloch im Nacken. Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf Erbschaft dieser Zeit 1935[3], jene grandiose Zeitdiagnose, die es uns erlaubt, Analogien zum Heute zu ziehen, auch zur Entschlüsselung der AfD, und zugleich Differenzen zum damaligen Jahrzehnt zu erkennen. Dann nehme ich die Tübinger Einleitung in die Philosophie 1 (1963), mit dem Fortschrittsvortrag von 1955/6[4] darin, und das Prinzip Hoffnung, v.a. die Kapitel 12,15,16, und im Hintergrund immer Burghart Schmidt[5].
Schon das Etikett des Mosaiks verweist auf seine dialektische Weiterentwicklung:
Der Mensch bezwingt den Kosmos, das kann Antagonismus bedeuten, also Sieg in einer Auseinandersetzung, gegen einen Feind, oder es bedeutet die Eroberung der Terra incognita, Ausdehnung des Macht- und Herrschaftsbereichs. In Blochs Fortschrittsidee ist beides enthalten, allerdings nicht parteikonform. Den Kosmos bezwingen würde ja ein Angriff auf die Natur sein, ohne deren Bezug für Bloch weder Sozialismus noch Utopie denkbar waren. Die offizielle DDR-Ideologie wich der Auseinandersetzung mit der Natur weitgehend aus[6]. Sabrow deutet die Eroberung des Kosmos als eine der Zukunft, zugunsten der Wissenschaft (deshalb wohl auch die Einstein Formel e=mc2(Hörz 1974) in der ersten Tafel).
Die Arbeit am Begriff erinnert an Adorno, der in dieser Hinsicht nicht so weit von Bloch entfernt war[7]. Die Differenzierungen im Begriff Fortschritt konnten nicht ins Konzept des Staates passen, in dem Bloch ja nicht selbstverständlich seine Rückkehr begann und den er zum gegebenen Zeitpunkt Richtung Westen verlassen sollte, dort nicht weniger kritisch, aber freier. Mit seiner Utopie war Bloch unserem 1968er Leitstern Marcuse aber sehr weit voraus[8] , und zugleich war Bloch nicht nur für die Studentenbewegung ein ständiger anregender Widerspruch, auch in der Freundschaft zu Rudi Dutschke.
In seinen Thesen am Ende der Fortschrittsabhandlung kommt die ganze Dialektik dieses Denkens zum Ausdruck: „3. Der Fortschrittsbegriff kann für die Produktivkräfte und Basis gültig, für den Überbau relativ ungültig sein, mindestens schwächer gültig und umgekehrt. Verwandtes gilt für zeitlich nacheinanderfolgende Überbauten (Kulturen), insbesondere für die Fortschrittskategorie in der Kunst“.[9] (Bloch 1963, 201). Wichtig auch: unmittelbar danach plädiert Bloch für die Multikulturalität „ohne europäisierende Vergewaltigung“, damals schon bemerkenswert (S.202). Ich denke, dass für die DDR in besonderer Weise gegolten hat, was Bloch so beschreibt: „Denn die Produktivkräfte wie auch Produktionsverhältnisse können einen Fortschritt zeigen, dem der Überbau gegebenenfalls nicht nur nicht nachkommt, sondern dem er zuweilen sogar mit besonderem Kulturverlust entgegengesetzt ist“ (Bloch 1963, 164). Gerade an der Weltraumtechnik sehen wir, nicht plötzlich, dass das gar nicht nur auf die DDR, den Sozialismus trifft, sondern auf alle Gesellschaftsverhältnisse. Bei Bloch war die paradigmatische Festlegung auf eine bestimmte Form des Fortschritts im sozialistischen Staat einer differenzierten Sicht gewichen, die sich nicht auf Bewusstsein, das vom Sein bestimmt sei, fokussierte. Abgesehen davon, dass er keinen Seinsbegriff mit autoritärer Dogmatik vertrat, sondern sich eher auf Arbeit und Natur in der philosophischen Anthropologie konzentrierte.
Noch einmal zum Menschen, der den Kosmos bezwingt. Die MIGs fliegen von Ost nach West, das ist die Eroberung des Raums. Die zeitliche Dimension ist das schneller sein, nicht einfach schnell sein. Hier greifen wir tief in die Erinnerung an die Rhetorik des Kalten Kriegs und vor allem auch von uns, seinen Kritikern im Westen ein (ich war ja nicht im Osten, und die Diversionen, die in der DDR-Friedensrhetorik zu uns gebracht wurden, durch DKP und andere sind ein eigenes Kapitel). Schon sehr früh haben wir uns einem Raumbegriff genähert, der viel mit Bloch und auch mit dem jetzt wieder aktuellen, kontroversen Heimatbegriff zu tun hat. Ich hatte damals zu „Heimat und Friede: Ernst Bloch“ vorgetragen (Aschmoneit and Daxner 1984, 148-165), schon mit den Ingredienzien von heute – und ganz anders: es war eben wirklich Kalter Krieg. Und die Beziehung zur Heimat ist ein Raumbeziehung, die bei Bloch zu einer der gesellschaftlichen Struktur umgewandelt wird – in Zukunft, als reale Utopie und nicht geschichtliche Gesetzmäßigkeit. Im Anhang zur Osnabrücker Anthologie fand sich eine fast die ganze Universität umfassende Unterschriftenliste einer Abrüstungsinitiative – das läuft heute digital und global.
Das antizipierende (vorwegnehmende) Bewusstsein und die Möglichkeiten, die wir noch vor uns haben, die wir erst entwickeln und entfalten müssen, sind hier die Schlüsselbegriffe[10]. Dass nach Möglichkeit alles Mögliche verwirklicht werden kann, wenn man es will oder politisch durchsetzen kann, ist das eine; das andere ist, dass in Möglichkeit verwirklicht werden kann und soll, was noch gar nicht erschienen ist, wo das Bewusstsein das Noch-Nicht einzufangen sich anschickt, fern von der Gewissheit des Gelingens. „So ist der Mensch die reale Möglichkeit alles dessen, was in seiner Geschichte aus ihm geworden ist und vor allem mit ungesperrtem Fortschritt noch werden kann…Die Materie ist die reale Möglichkeit zu all den Gestalten, die in ihrem Schoß latent sind und durch den Prozeß aus ihr entbunden werden“ (PH 271). Dieser Latenzbegriff geht vieler marxistischer Philosophie und sozialistischer Ideologie ab. Wenn der Mensch den Kosmos bezwingt, dann ist da mehr drin als bloß das schon Mögliche in Triebwerke und Raumkapseln zu formen: der Kosmos bedeutet auch ein Naturverhältnis, das allerdings bei Bloch anders aussieht als im realen Sozialismus: Kosmos ist auch eine Metapher für die Humanisierung der Natur (PH 288); damit haben wir schon früh politisch gearbeitet: (Daxner, Bloch et al. 1981) – bald sollte es die Grünen geben; das aber wussten wir auch nur im Vorschein. Die technische Systemkonkurrenz im Kalten Krieg ist hier nur ein, allerdings politisch relevanter Aspekt dieses Fortschritts. Das Mögliche muss nicht gelingen, es kann aber gelingen: das ist die Hoffnung. Von hier versteht man seinen Leitsatz: Hoffnung ist nicht Zuversicht. Nur dürfen wir nicht vergessen, dass auch das Technische immer an Grenzen für den Menschen stößt. „…Grenzen, die keine mehr sind, indem er sie wahrnimmt, er überschreitet sie“ (PH 285). Und das bedeutet natürlich auch, die Grenzen der Umwelt dieses Fortschrittssystems dynamisch zu halten und sich nicht dogmatisch auf sie festzulegen. Woran nicht nur der Sozialismus gescheitert ist, sondern Bloch auch resignierte: „Der Sozialismus hat noch gar nicht angefangen“[11].
Jedenfalls arbeitet Bloch nicht nach dem Prinzip „Von der Utopie zur Wissenschaft“, sondern „(auch) mit Wissenschaft zur Utopie“. Die Utopie bleibt das Ziel, gebunden an die Demokratie. (In seinem Aufriss der Sozialutopien kann man die schwache Seite ansonsten starker Gesellschaftsmodelle sehen, die ja für Bloch Vorläufer, auch Antizipation künftiger Utopien und daher künftiger Politik sind)[12].
In der Diskussion ergab sich eine keineswegs marginale Seitenaspekt. Saskia Hüneke verwies auf die vielfältigen Identitäten, die sich in den Kontroversen um Rechenzenbtrum und Garnisonkirche in Potsdam ergäben (also meinte sie zutreffend, es gäbe keine einigende städtische Identität, in deren Schatten diese Kontroversen abgebaut werden können). Martin Sabrow hat in der Abschlussdiskussion dem Identitätsbegriff ebenfalls zutreffend den des Interesses entgegengestellt, das durchaus vielfältig der Verdinglichung der subjektiven Identitäten vorzuziehen sei. Das erinnert mich an die großartige Entwicklungsgeschichte von der Leidenschaft zum Interesse ab der Renaissance, Leidenschaft und Interesse von Albert O. Hirschman (dt. 1987, stw). Aus unterschiedlichen Identitäten kann man keine Konfliktfähigkeit ableiten, sehr wohl aber aus verschiedenen Interessen eine konflikt regulierende Politik gestalten, die dann immer Machtfragen herausfordert.
Ich möchte beim Mosaik noch auf einen anderen Zusammenhang hinweisen: Burghart Schmidt (Schmidt 1985, 71ff) erläutert den Fortschrittsgedanken in Bezug auf die Geschichte mit dem Schwerpunkt auf der Ungleichzeitigkeit. Im wirklichen Vorgriff auf das Zukünftige, auf die Utopie, ist auch der Protest gegen das Vergangene und Gegenwärtige enthalten. Und wenn dem der Widerstand vorenthalten wird, dann wird die Zukunft auf das Extrapolierbare reduziert (wie in den meisten technischen Science Fictions, wie bei Fortschrittsprojektionen, die die Werkbänke weithin verlängern) (Vgl. auch Schmidt 1985, 73). In dieser Interpretation findet sich ein Satz, von dem aus heute vieles weitergedacht und -gesagt werden kann: „Denn gerade von der Gleichzeitigkeit der Metropolen fühlte sich ja die Ungleichzeitigkeit der Provinz bedroht“. Das bezieht sich auf Blochs Analysen in Erbschaft dieser Zeit (Bloch 1962 (1935)). Aber wie sich das entfaltet, zwingt uns geradezu Analogien und Diskrepanzen zur Weimarer Republik und zu den unterschiedlichen Entwicklungen der Nachkriegszeit vor und nach 1989 auf. Und da komme ich auf die Differenzierungen im Begriff Fortschritt zurück, welcher Text ja ein Vortrag von 1955/6 war, 5 Jahre vor seiner neuerlichen Emigration. Der antifaschistische Widerstand begann bei Bloch früh, und Schmidt beschreibt das präzise, z.B. anhand des Vortrags „Marxismus und Dichtung“, das sollte sich vor dem Weltkrieg noch fortsetzen, mit Schmidt: „Er verteidigte die neuen Techniken etwa des Expressionismus und Surrealismus gegen die Ansprüche einer Kunstdoktrin, die Realismus nur im Beachten eines Kunstregelkanons, aus bürgerlicher Klassik und bürgerlichem Realismus abgezogen, gewährleistet sah“ (S. 24). Als Bloch 1961 wegen des Mauerbaus aus der Bundesrepublik nicht in die DDR zurückkehrte und in Tübingen Gastprofessor wurde, hieß der Titel seiner Antrittsvorlesung „Kann Hoffnung enttäuscht werden?“; die Antwort war, „neuem Anfang gemäß: „Sie wird enttäuscht werden, ja, sie muß es, sogar bei ihrer Ehre; sonst wäre sie ja keine Hoffnung“ (S.28).
Die Wissenschaft hat im Mosaik so wenig ihre Antizipation gefunden wie das Vorbewusste, das Noch-Nicht-Sein. Das Noch-Nicht-Bewusste ist schroff dem Vergessenen, Verdrängten entgegengesetzt (wovon ich, mit Verlaub, viele Spuren in einzelnen Mosaiktafeln entdecke). Aber was den Weltraum, den Kosmos betrifft, wird in seiner Eroberung ja die Überlegenheit eines Systems antizipiert, möglicherweise (von heute aus gesehen) ein Fluchtpunkt, wenn wir die Erde verlassen werden müssen, was damals kein Thema war, und möglicherweise die Vergesellschaftung einer Wissenschaft, die über die ökonomischen Zwänge der Produktivität und ihrer Steigerung hinausgehen[13]. Ich muss das hier nicht ausführen, will aber versuchen, in Bezug auf Kunst die Vorahnung von Künftigem ebenso hinein- wie herauszulesen wie das Aufdecken des Vergessenen. In einer fundierten Analyse beschreibt Eberhard Braun einen Kerngedanken: „Alle Träume speisen sich aus einem Wunsch nach Glück – dies ist ihr praktischer Kern“ (Braun 1983, 131). Gerade hier verweist Braun auf die Kunst[14].
Hat der Menschen den Kosmos bezwungen? In der Vorstellung wird er ihn schon bezwungen haben, aber das Reich der Vorstellung war und ist noch nicht hinreichend revolutioniert.
ANHANG
Burghart Schmidt
Statement zu Fritz Eisels Fassaden-Mosaik am ehemaligen Rechenzentrum der DDR in Potsdam
Durch Studium des Programms vom Symposion zu Fritz Eisels öffentlichem Mosaik in Potsdam sah ich, dass sämtliche Gesichtspunkte, die mir so eingefallen waren in Sachen historisches Dokument, schon durch Vorträge abgedeckt waren. Nur einen Standpunkt kann ich hinzutragen, der offensichtlich nicht berührt wurde. Er hat zu tun mit einer Theorie von Charles Jencks, der von der Mehrfachcodiertheit eines Kunstwerks schreibt. Er hat die Theorie vorgelegt im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen über „Die Sprache der postmodernen Architektur“. Was ist darunter zu verstehen? Ein Künstler vermag in sein Kunstwerk mehrere Codes einzuweben. Viele Beispiele dazu lieferte mir der Manierismus und der Barock. Damals waren für aufwendige Kunstprodukte die Geldgeber und Beauftrager fast nur die Mächtigen des Adels und die Kirche. Die Künstler, die für aufwendige Kunst immer mit der Macht gehen mussten, erfüllten nun die Aufträge der Auftraggeber, indem sie Bildwerke von Heroenmythen dem Adel lieferten und der Kirche die gewünschten Märtyrer- und Heiligengeschichten. Aber in Manierismus und Barock verwoben sie dahinein per einem anderen Code, wie sie an der Front der Aufklärungen standen in Natureinsicht wie Welterkenntnis, Geschichtserkenntnis und besonders der Optik, in der Weltsicht erst entsteht. Das nun auf Fritz Eisels Werk in Potsdam übertragen meint, dass er einerseits den Auftrag des DDR-Staats erfüllt, gemäß deren ästhetischer Dogmatik des sozialistischen Realismus. Andererseits wob er einen Code hinein, der entscheidende Züge des Expressionismus und des Surrealismus vorträgt. Somit bleibt er gemäß seiner Zeit aktuell auch für den Kunststand des Westens, und im Osten war er angesichts der doktrinären Kunststeuerung eine einzige Provokation. Das bleibt sein Wert für die deutsche Kunstgeschichte weiterhin.
Literatur:
Aschmoneit, W. and M. Daxner, Eds. (1984). Krieg und Frieden – Osnabrücker Vorlesungen 1983/84. Osnabrück, Universität Osnabrück.
Bloch, E. (1954-59). Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt, Suhrkamp.
Bloch, E. (1962 (1935)). Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt, Suhrkamp.
Bloch, E. (1963). Tübinger Einleitung in die Philosophie 1. Frankfurt, Suhrkamp.
Braun, E. (1983). Antizipation des Seins wie Utopie. Seminar: Zur Philosophie Ernst Blochs. B. Schmidt. Frankfurt, Suhrkamp: 123-150.
Daxner, M., J. R. Bloch and B. Schmidt, Eds. (1981). Andere Ansichten der Natur. Münster, SZD.
Hörz, H. (1974). Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften. Köln, Pahl-Rugenstein.
Schmidt, B., Ed. (1978). Materialien zu Ernst Blochs <Prinzip Hoffnung>. Frankfurt, Suhrkamp.
Schmidt, B. (1985). Ernst Bloch. Stuttgart, Metzler.
Schmidt, B. (1988). Kritik der reinen Utopie. Stuttgart, Metzler.
Prof. Dr. Michael Daxner
Feuerbachstraße 24-25
14471 Potsdam
michaeldaxner.com
[1] Einen wichtigen Beitrag hat Susan Sontag schon 1975 dazu geleistet: Fascinating Fascism NYRB, 6.2. 1975: “Fascist art displays a utopian aesthetics—that of physical perfection. Painters and sculptors under the Nazis often depicted the nude, but they were forbidden to show any bodily imperfections,” und “In contrast to the asexual chasteness of official communist art, Nazi art is both prurient and idealizing”. Aus langer persönlicher Bekanntschaft und Freundschaft kann ich auch auf die vergleichenden Analysen von Martin Damus (1936-2013) verweisen, der mir die Stilvergleiche und – im Blochschen Kontext – die Ungleichzeitigkeiten der ästhetischen Entwicklung nahegebracht hat. Vgl. auch:Martin Damus: Sozialistischer Realismus und Kunst im Nationalsozialismus. Frankfurt 1987. Fischer. Ich erwähne das mit Respekt vor äußerst unterschiedlichen Auffassungen zu diesem heißen Thema, aber in jedem Fall muss es aus dem beschwiegenen Unbewussten heraus.
[2] Vgl. Karl Moersch: Atome für den Frieden, 25.8.1955 https://www.zeit.de/1955/34/atome-fuer-den-frieden: mit „überraschender“ Einigkeit bei Wissenschaftlern zwischen Ost und West. Fortschritt war im Westen u.a. verkörpert durch die Zeitschrift Hobby: Das Technik Magazin. 1953-1991. Klassenübergeifende Lektüre des technischen Fortschritts.
[3] Im Vorwort zur Ausgabe 1935 schreibt Bloch: „Die Zeit fault und kreißt zugleich“ (Bloch 1969 (1935), 15)
[4] Ursprünglich: Bloch, E., Differenzierungen im Begriff Fortschritt. [1. Auflage] Berlin, Akademie, 1956 (Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin. Klasse für Philosophie, Geschichte, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, 1955/5). Bloch erhält den Nationalpreis und – beginnt massive Kritik auf sich zu ziehen. Die Deutungshoheit der Partei überstieg schon damals ihre strukturelle Beherrschung der Vertikale von Anerkennung und Prestige.
[5] Hier empfiehlt sich zur Einführung Schmidt, B., Ed. (1978). Materialien zu Ernst Blochs <Prinzip Hoffnung>. Frankfurt, Suhrkamp. V.a. Burghart Schmidt, Adorno, Raulet, Fetscher, Holz, Alfred Schmidt, und Abschnitt „Zur Ästhetik“ 391-474 (In diesem Abschnitt wird nicht nur die Blochsche Theorie erklärt, sondern auch der verkürzte Marxismus der ästhetischen Vorgaben dekonstruiert).
[6] Eine wichtige Ausnahme ist Hans Heinz Holz, ein Dissertant von Bloch (wegen der Bibliographie: https://de.wikipedia. org/wiki/Hans_Heinz_Holz). Ansonsten war die Ignoranz gegenüber Bloch bemerkenswert, etwa im großen Werk von Herbert Hörz (Hörz, H. (1974). Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften. Köln, Pahl-Rugenstein. Hier finden sich im Index weder die Stichwörter Bloch und Utopie, und bei Raum und Zeit steht auch nur von Lenin Abgeleitetes (Das Buch kommt vom DDR Akademie-Verlag, gleiches Jahr). Das Beschweigen undogmatischer Wissenschaft war eine Spezialität der DDR. Umgekehrt wurden kritische Sozialisten, wie Holz, im Westen lange Zeit auch nach allen Regeln der Kunst behindert.
[7] Blochs ambivalente Haltung zu Stalin entfremdet ihn Adorno in den 1930er Jahren; die Wiederannäherung erfolgt spät, nach 1956, aber gerade in diesem Kontext. Vgl. dazu Schmidt, B. (1985). Ernst Bloch. Stuttgart, Metzler. U.s. S. 4ff. 21f. Diese Auseinandersetzung ist um Blochs Haltung zu Stalin in den 30er Jahren ist insoferne erheblich, als (berechtigte und verkehrte) Kritik an ihr seinen Grundlagen wenig Abbruch tut, und schon gar seiner klaren Politik nach 1956 (ab dem
Ungarn-Aufstand).
[8] Fuchs.uti.at/wp-content/uploads/infogestechn/fortschrittutopie.html (Christian Fuchs, Utopie bei Marcuse und Bloch)
[9] Bloch entscheidet sich damals schon für einen Multikulturalismus. In der 4. These, anschließend an obige, geht er soweit, sich eine Riemannsche Zeit vorzustellen. Das führt uns wieder zu (s)einem Aspekt der Ungleichzeitigkeit. Ich kann nicht kompetent über die Analogie der Riemannschen Mannigfaltigkeit im Kontext Auskunft geben. Bloch verstand aber etwas davon, und seine Raum/Zeit Auffassung stand weiterentwickelt gegen die marxistische Zeitdominanz (gegenüber der oft nachgewiesenen Raumdominanz rechter Ideologien).
[10] Dass Ulbricht die „Unmöglichkeit“ als Begriff ausschloss, ist jedenfalls nicht trivial. Sabrow verweist zu Recht auf die Entleerung des Fortschrittsbegriffs.
[11] Ich hätte Ohrenzeuge von Blochs Vortrag zur Erkennbarkeit der Welt sein können, wäre der Festsaal der Universität Wien nicht hoffnungslos überfüllt gewesen. Darin wird der Marxismus herkömmlicher Machart radikal kritisiert (Vgl. Peter Kampits: „Der siebente Tag werden wir sein“ (XX, 12.9.1968),worin es und vor allem um die Erniedrigten und Beleidigten dieser Welt geht. Implizit noch kritischer, auch gegenüber Bloch selbst, ist Claus Grossner in der ZEIT, 24.4.1970: Das Prinzip Hoffnung. Das sind frühe Erinnerungen an die Rezeption. Zu unserem Thema siehe v.a. , Schmidt, B. (1988). Kritik der reinen Utopie. Stuttgart, Metzler.(v.a. Abschnitte G-J; von hier kann man Blochs Fortschrittsgedanken differenziert entschlüsseln und „politisieren“; es geht um den „Abschied von den universalisierenden Utopien“.
[12] Vgl. die beiden großen Abschnitte 36 (Freiheit und Ordnung, Abriß der Sozialutopien) und 37 (Wille und Natur, die technischen Utopien) im Prinzip Hoffnung: Bloch, E. (1954-59). Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt, Suhrkamp.
[13] Nun ist dieses 15. Kapitel im Prinzip Hoffnung nicht so sehr philosophisch schwierig als psychologisch, historisch und in seiner Begrifflichkeit.
[14] Verweis auf Gert Ueding: Tagtraum, künstlerische Produktivität und der Werkprozeß“ , In: G.Ü.: Ernst Bloch, Ästhetik des Vor-Scheins 2, Frankfurt 1974.