Bitte lest zuerst die Berichterstattung, sie deckt sich mit den Lifesendungen des DLF vom 10.3.2019
https://www.sueddeutsche.de/politik/chemnitz-wem-die-stadt-gehoert-1.4363338
https://www.mdr.de/sachsen/chemnitz/chemnitz-stollberg/reaktionen-trauer-cfc-haller-100.html
Ein Nazi ist auch ein Mensch. Kein Zweifel. Um einen Menschen darf man trauern…nicht ganz so einfach. Hat man ihn gekannt, war er einem persönlich lieb und nah? Oder war er eine Person des öffentlichen Lebens, dann trauert man um seine Weltanschauung, seine Leistungen, seine Wirkung auf andere – und wenn er beim Sterben auch noch gelitten hat, kann man das den Eulogien hinzufügen. Aber so ganz ohne Umstände hat kein Mensch, auch nicht der Liebste, das Recht auf öffentliche Trauerkundgebungen.
Bei einer Erdbestattung wirft man ein wenig Erde auf den Sarg, oder eine Blume, oder ein Briefchen, bei Trauerfeiern wird das symbolisch gemacht, und bei öffentlichen Trauerakten werden die Symbole aufeinandergehäuft. Da sollen sich unbeteiligte Beteiligte, die aus Pflicht oder Neigung dem Abschied beiwohnen wollen oder dort gesehen werden wollen, es wird eine Beziehung ultra tumbam, jenseits des Grabes hergestellt (von dort soll auch ab und an gewunken worden sein…). Keine Witze über das Sterben, sehr wohl aber Distanz und Kritik am so genannten Tod. Tod ist eine Konstruktion, Sterben so gar nicht. (Dazu demnächst ein Blog).
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Der Chemnitzer Nazi, meinetwegen Neo-Nazi?, wird öffentlich betrauert und teilweise verehrt. Die ihn gekannt haben, mögen ihn diesseits oder jenseits seiner Ideologie gemocht haben, sollen sie trauern. Wer das öffentlich macht, ist politisch in der Pflicht. (Nicht nur bei Nazis, auch bei anständigen Menschen, oder Vorbildern. Natürlich darf man öffentlich trauern, man muss aber für die Gründe einstehen).
Jetzt lest bitte die obigen Meldungen und Kommentare, u.a. die Hörerpost des mdr.
In einer Zeit, in der der deutschen Innenminister, von mir Deportationsminister genannt, öffentlich mit Orban und Salvini posiert, ist die öffentliche Darbietung von Huldigungen an einen gegenwärtigen Nazi nicht trivial. Sie ist vielmehr ein Symptom für eine gesellschaftlich Verwerfung, bei der wir allerdings nicht genau wissen, wie groß und mächtig sie ist. Chemnitz verführt zu Verallgemeinerungen, die ich zunächst auf Chemnitz, Sachsen und Teile des Ostens reduzieren würde. So weit aber schon.
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Chemnitz wird zu einem heftigen, aber eingehegten Lokalbeben zurückgestuft, noch in allen Medien und morgen vergessen. Die gesellschaftliche Verwerfung ist nicht einfach eine reaktionäre tektonische Verschiebung, sozusagen die Überlagerung der Demokratie durch rechte Platten und Massive. Dort, wo Demokratie und Republik, soziale Politik mit liberaler Kultur kooperierten entstehen Löcher und fadenscheinige, kaum haltbare Texturen. Ins Vakuum dringt die Macht ein, eine Erkenntnis, die nicht erst seit Foucault die Bedeutung der Leerstellen erkennen lässt.
Der Chemnitzer Hooligan war kein wirkliches Vorbild (obwohl er straight & fair gelabelt wurde), weil er ein Mensch war, einer. Der virtuelle Gesamtnazi als Identitätsträger der Systemkritik steht am Horizont als Wolkengebilde und Fluchtpunkt von Zentralperspektiven entlang des Heimatstrahls. Dass der Deportationsminister für Heimat zuständig ist, also der Brandstifter als Biedermann, ist fast so schlimm wie die in jeglicher Hinsicht gelähmte Koalition, die naturgemäß nicht nur den Zorn der Systemkritiker, sondern auch den der Demokraten auf sich zieht. Wer so auf Macron reagiert wie das Produkt christsozialer Käfighaltung, wer das noch halbwörtlich unterstützt wie die Kanzlerin, wer sich eher Sorgen um die Dieselfahrer als um deren Kinder macht, gehört nicht in die neuen, virtuellen Lichtdome de nationalistischen Hohen Tons. Aber lasst uns mal mit Orban reden, vielleicht entschuldigt er sich, meinte Weber. Wie er mit seinen Flüchtlingen umgeht, daran sollte er gemessen werden und dann vor Gericht gestellt. Von Chemnitz ist es überall in Europa gleich weit.
Wem dieser Bogen zu weit gespannt ist, der kann sich verstanden wissen. Es ist fast nicht auszuhalten, wie weit die Bögen vom lokalen Unheil zur europäischen oder globalen De-Strukturierung sind, die zur Destruktion führen kann und wird.