Kann man, darf man, soll man NAZI sagen oder nicht?

Zwei Meldungen.

Mir geht es um eine Frage, die mich selbst und viele andere betrifft: unter welchen Umständen darf

WER WEN oder WAS MIT DEM NATIONALSOZIALISMUS; NAZIS; VERGLEICHEN?

Ist dieser Vergleich geeignet, eine Ausnahme zu markieren im unbedingten Gebot der Meinungsfreiheit?

Antwort: meistens NEIN, bisweilen JA.

Holocaust-Vergleich: Trump-Anhängerin Greene entschuldigt sich

Die republikanische US-Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Green hat sich für Vergleiche zwischen chutzmaßnahmen in der CoV-Pandemie und der Judenverfolgung durch die Nazis entschuldigt. …. …

Greene hatte unter anderem geplante Impflogos auf Namensschildern von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen eines Supermarktes damit verglichen, dass die Nazis das Tragen von Judensternen erzwangen.

Anhängerin von QAnon-Verschwörungsmythen

Mit ihren wiederholten Vergleichen der CoV-Maßnahmen mit dem systematischen Mord an sechs Millionen Juden hatte Greene über die Parteigrenzen hinweg Empörung ausgelöst und ihre eigene Fraktionsführung gegen sich aufgebracht.

Auch warb sie schon mehrfach offen für die QAnon-Verschwörungsmythen. Deren Anhänger glauben etwa, dass Trump versucht habe, systematischen Kindesmissbrauch durch satanistische Politiker der US-Demokraten aufzudecken.

red, ORF.at/Agenturen 14.6.2021

UND

https://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-litauen-109.html

Schwere Vorwürfe gegen Bundeswehrsoldaten

Stand: 15.06.2021 00:41 Uhr

Sexuelle Nötigung, Rassismus, Extremismus – schwere Vorwürfe werden gegen mehrere Bundeswehrsoldaten in Litauen erhoben. Das teilte das Verteidigungsministerium den Obleuten im Bundestag mit. Vier Soldaten wurden abgezogen. …  Dabei sollen in einem Hotel Ende April rechtsradikale und antisemitische Lieder gesungen worden sein … (ARD online)

TÄGLICH SOLCHE MELDUNGEN: UND MAN BEOBACHTET ZWEI PHÄNOMENE.

  1. Die Nazis bezeichnen andere Gruppen als Nazis und identifizieren sich oft mit Naziopfern. Paradigma – Sophie Scholl oder Einschränkung der Meinungsfreiheit, wo doch die Nazis für die Grundrechte eintreten (AfD, Querdenker)
  2. Innerhalb der Gruppe der objektiven Nazigegner wird der Begriff zum Schimpfwort, hinter das man nicht mehr gehen kann, und damit verliert er seine Qualität als Begriff.

Das Erste ist ärgerlich und kann nicht durch die Behauptung der illegitimen Aneignung eines Bergriffs durch die „Falschen“ entkräftet werden. Dazu müssen wir uns genau mit der Bedeutung und der Wirkung der Zuordnung des Nazibegriffs so auseinandersetzen, dass man entweder die Justiz zu Recht einschalten kann oder öffentlichen Widerstand organisieren muss, wie das beim Missbrauch der Weißen Rose ja möglich ist. Aber wir müssen darüber nachdenken, warum bei den Nazis gerade in Deutschland die Verlagerung der Brandmarkung auf ihre Gegner so populär geworden ist.

Das Zweite betrifft uns alle, die wir nicht nur „gegen die Nazis“ sind, sondern versuchen, anders, demokratisch und republikanisch zu leben, und damit politisch zu sein. Das setzt neben Kritik auch Konfliktfähigkeit und Konfliktbereitschaft voraus.

Begrifflich werden die Bereiche durch einen diskursiven Kampf um die Deutungshoheit von Grundrechten verbunden. Oft hört man mit Bedauern, dass eine Demokratie eben Angriffe hinnehmen müsse, die in einer Diktatur gleich gar nicht aufkommen könnten –  also dürften die Nazis die Grundrechte eben auch in einem weiten Maße für sich beanspruchen. Aber so eindeutig stimmt das nicht. Wenn ich einen Lügner als „Lügner“ bezeichne, kann das eine strafwürdige Beleidigung sein – es sei denn ich beweise seine Lügenhaftigkeit vor Gericht oder anderswie öffentlich glaubwürdig und zugänglich. Und genau das ist im Fall der Nazizuschreibung. Die kann und soll erfolgen, wenn der Nachweis ihrer Berechtigung angemessen und sinnvoll kommuniziert werden kann, und sie muss unterbleiben, wenn der Angriff mit Faschismus nichts zu tun hat, sondern anderswie abzulehnen ist. Trivial? Gar nicht, denn wer meint man verharmlose die Nazis, wenn man sie in ihrer heutigen Gestalt als solche bezeichne, irrt doppelt: er setzt die Vergangenheit wichtiger als die Gegenwart und er verharmlost die Gefahr, die von den Nazis ausgeht, bevor sie nach der Macht greifen – denkt an die Jahre 1929 bis 1933.

Es geht nicht anders: wir müssen uns alle mit den anwachsenden Mengen von Nazis auseinandersetzen, die längst in der Mitte angekommen sind und nach bestimmten Phänomenen am ganz linken Rand greifen, v.a. in der Identitätsdiskussion. „Alle“, d.h. das kann und soll man nicht den Experten überlassen. Gebraucht man das Wort falsch, kann man das einsehen und sich entschuldigen. Gebraucht man es als Begriff aber zutreffend, dann muss man dazu stehen und sich offensiv verteidigen.

Und  noch etwas: die Nazis sind nicht dümmer als wir und sie treten nicht so auf, wie unsere Geschichtsbücher sie verkürzen.

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