Sondierungen ins Ungefähre – Nowhere/Now here

(Seit William Morris häufiges Wortspiel, aber nicht unsinnig).

Mit einer Panne hat auch die CDU zu kämpfen. Ein Sondierungs-Leak bei der Union ärgert die FDP. Aus einer vertraulichen Runde wurden Informationen öffentlich gemacht, berichtet mein Kollege Georg Ismar. Ob es heute besser läuft? Erstmals treffen sich Union und Grüne zu einem Sondierungsgespräch. (Tagesspiegel online 5.10.21).

Ich bin nicht die Sprachpolizei. Aber ich störe mich an der zeitweisen Heiligung von Begriffen, unter denen man eher Diffuses als konkret Profiliertes versteht. Darum verwenden die Beteiligten viel Aufwand, um dem Publikum zu erklären, was sie unter „Sondierung“ verstehen und worum es „eigentlich“ geht.

Die Verhandlung als Vorbedingung vor Verhandlungen als Bedingung von Koalitionsgesprächen ist selbstverständlich, weshalb ihre Betonung misstrauisch macht. Es wird ein Terrain erkundet, auf dem Widersprüche und Konflikte in einem vorher begrenzten Rahmen bearbeitet werden können, auch das ist normal. Wo es Übereinstimmungen gibt, müssen die Sondierungen inzestuöse oder ganz und gar personalisierte Konflikte ausschließen, damit nicht das Ziel durch personalisierte Machtkämpfe reduziert wird.

Ich bin misstrauisch, weil ich annehme, dass die Sondierung so eine Art Vorspiel auf dem Theater ist, die den erhofften und erwarteten Vertrauensbonus mitkochen oder mitservieren soll.

Im Faust wird das demonstriert:

DIREKTOR: Ich wünschte sehr der Menge zu behagen. (V.37) – ALLE BETEILIGTEN

LUSTIGE PERSON: Laßt Phantasie mit allen ihren Chören, / Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft, / Doch merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören (V.86-89). – PARTEIMITGLIEDER, DIE NICHT DEM SONDIERUNGSTEAM ANGEHÖREN, AUCH VERLIERER IM INNERPARTEILICHEN MACHTKAMPF

DICHTER: Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen, / Erscheint es in vollendeter Gestalt. / Was glänzt, ist für den Augenblick geboren, / Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren. (V.71-74) MERKEL oder SCHOLZ‘ HOFFNUNG AUF WIEDERWAHL

DICHTER: Gib meine Jugend mir zurück! (V.197) CDU/CSU, CSU,

DIREKTOR: So schreitet in dem engen Bretterhaus  / Den ganzen Kreis der Schöpfung aus, / Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle/ Vom Himmel durch die Welt zur Hölle (V.240-244). LINDNER, LINKE; LASCHET:::LLL

Die Passagen aus dem Faust sind eine Sondierung mit dem eigenen Unterfangen (ich habs aus einem Didaktikblog genommen, einfach so: https://bobblume.de/2019/03/14/unterricht-faust-i-vorspiel-auf-dem-theater-v-33-242/

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Zu sondieren, ob man überhaupt mit verhandeln kann und wenn ja, worüber, ist alltäglich und selbstverständlich. Aber das WIE? Bestimmt schon den Hintergrund. Nur nicht Kellner werden, immer mitkochen … das ist ja gut so. Der Menge allerdings behagt es, auch einmal mehr als die Vorspeise serviert zu bekommen.

Kurt Kister in der SZ (Deutscher Alltag, 5.10.21) macht das noch viel deutlicher. Und die Abendergebnisse der Gründschwarzen Erstsondierung dann noch mehr. Man braucht eine Magensonde. (aber nicht wegen dessen, was besprochen wurde, sondern dessen, was BILD durchgestochen erhält und was daraus in der Glaskugel gemacht wird).

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In diesen Tagen überbauen das föderale Herumgehampel mit Corona und die Pandora-Vermutungen die wichtigen Aspekte der Politik. Niemand regt sich wirklich darüber auf, dass in Afghanistan hunderte, vielleicht tausende Ortskräfte von der Bundesregierung in Lebensgefahr geschickt wurden und noch immer bürokratisch bedroht werden – das Thema wird mit der blöden Ansetzung der so genannten Afghanistan Evaluierung durch AKK noch nicht einmal öffentlich verknüpft. Eine abtretende Regierung verwischt die Spuren ihrer welt- und innenpolitischen Schwachstellen und tut so, als wäre Deutschland in jeder beliebigen Konstellation ein mächtiger Spieler in der ersten globalen Reihe. Die ehemaligen Volksparteien haben bundesweit nicht mehr Prozente als die Nazis von der AfD in manchen Bundesländern, aber keine Spur von Überdenken der eigenen Position als Altparteien der Älteren. Die Jungen sind wo anders und werden von anderen (FDP, Grüne) abgeholt – aber nicht, um nur zu Kellnern.

Im Sondieren wird man, so ist zu hoffen, auch die eine oder andere Wahrheit jenseits der Statistik entdecken. Dann wäre am besten Schluss mit der Vertraulichkeit, dann muss die Menge daran teilhaben.

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Die Grünen haben Recht. ALLES, ausnahmslos ALLES muss sich unter dem Fokus der Klimapolitik anordnen, auch wenn es die unterschiedlichsten Bereiche der Politik sind. Die Zusammenhänge herzustellen, kann bei den Sondierungen schon besprochen werden, das Aushandeln wird schwierig, aber – um Merkel zu zitieren, es ist alternativlos.

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