Hysteria Germanica

im Stadium trockener Erschöpfung betrachtet sich die Welt, als wäre man auf dem Weg zur eigenen BeerdigungAber man kann sich in den Trost flüchten, dass das alles, alles was man so in drei Tagen sieht und hört, wie eine Folge von Zeichentrickfilmen und Avataren vor einem abläuft, und dahinter, erst dahinter, ist die Welt. So ist es schon dem Panther von Rilke ergangen. Noch nicht so lange her.

Da treffen sich die so genannten Staatslenker in Elmau, das kostet uns nur ein paar hundert Millionen Euro und dient doch dem guten Zwekc, die Bedeutung der Beschlüsse durch die Kulisse anzuheben. Das Gleiche wiederholt sich in Madrid mit 30 Natoländern und noch mehr Polizisten, Das Gleiche im Kleinen auf x Konferenzen.

Glaubt ihr, ich kritisiere den Rahmen, weil das Bild schlecht ist? Nein, denn dies ist die Technik derer, denen kein Bild gut genug ist, meist von politischen Rändern oder zugekifft von absurden Phantasien über den Zustand ihrer Wahrnehmung. Nein, nehmen wir die Verschwendung unserer Gelder hin, als Indiz für eine noch durchaus verbesserungsbedürftige Demokratie. Ärgern tut einem die Verarmung unserer Armen trotzdem. Aber das ist das gute Recht aller.

Das Wortgeklingel ist vorbei, die erwartbare Frontbegradigung ist erledigt, die USA an unserer Seite (nicht wir an ihrer, da ist ein Unterschied), die Sekundärdiktatoren in ihren Sätteln gefestigt und die hippeligen Demokratieförderer auf eine neue Runde eingestellt. Ist doch normal. Alles, was in den letzten Wochen geschehen ist, hat den Klimawandel verdrängt, unsere Kinder werden schon nicht ersticken, und wenn, erlebt es die Generation Lindner hoffentlich nicht. Diese Form der Rückkehr zur „Normalität“ hat den Vorteil, dass niemand am Stammtisch seine Version des neuen Kalten Kriegs vorbringen muss. Die Hsyterie kann sich dem sinnlich wahrnehmbaren hingeben, den Warteschlangen an den Flughäfen (prima, je weniger Flüge, desto besser), den zunehmend verspäteten Zügen (prima, wir sollen nicht so überheblich auf die Eisenbahn in der Dritten Welt schauen), dem Wassermangel in Brandenburg und anderswo (prima, dann gewöhnt man sich schneller an die eingetretene Zukunft der Dürrer) und dass alles teurer und langsamer zugleich wird (prima, wer hat denn jahrelang gegen die Hektik der Ämter und Discounter gehetzt?). Alles gut, sagt der deutsche Michel und lehnt sich zurück. Andere Sorgen habt ihr nicht? Und dass Hysterie nicht hektisch sein muss, wissen wir auch.

*

Ich wende meinen Blick von der Weltpolitik ab. Die Brücke zu den obigen Beobachtungen ist klar: vor meinen Augen vertrocknet der Park, und über das Klima zur Armut lassen sich alle möglichen Erscheinungen beobachten. Aber wie sieht das im Mikrobereich des Tagesablaufs aus, wenn man durch die Hitze etwas schlaff und unmotiviert ist, wenn die Augen den Bildschirm nicht festhalten wollen, wenn man nicht so richtig schwitzt, weil man schon geschwitzt hat, wenn…früher hätte man gesagt: ein schöner, heller Sommer! Ja, der trockene Sommer war ein Lob der Jahreszeit. Jetzt hofft man auf Regen und verspricht dem Hund, dass wir beide im kalten Guss extra hinaus gehen. Die Spaltung der Gesellschaft läuft diesmal anders: die, die weg wollen und schwitze es, was es wolle, und die, die es auch wollen, aber nicht tun, weil sie es nicht können oder weil sie abwägen, um wieviel ärgerlicher die Bewegung wäre. Das ist keine Philosophie der Sommerträgheit, sondern die unerfreulich notwendige Feststellung, dass man in diesen Tagen die Sozialstruktur unseres Landes durch das abgeschmolzene Sommerfett deutlicher, bedrückender sieht als sonst. Die soziale Agenda rückt wieder vor, zugleich mit der kulturellen. Die Schuldenbremser und Haushaltsasketen verlagern alle unsere Mittel zu den Waffen, zu Investitionen in die Infrastruktur und an die Baustellen. Bildung, Kultur und im materiellen Bereich Reparaturen bleiben auf der Strecke. Und weil die beiden Sphären nicht zusammen kommen, entlädt sich dazwischen eine Stimmung angespannter Hysterie, die wichtige Entwicklungen unserer Geschichte löscht, aber keine neuen findet. Vom Kalten Krieg bis zur Einschränkung des Lebensstandards sind die Brocken des Anstoßes verteilt vor den Füssen der Aufgeregten. Hessel schreibt. Empört euch! und ich sage: regt euch ab. Widerstand kann nicht hitzig begonnen werden, er wird noch heiß genug. Denn Widerstand ist nicht zwischen Elmau und dem Verkehrsdesaster angebracht, sondern mitten unter uns, wo sich alle über alles gleich aufregen.

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