Betreten, Durchgang, Durchfall verboten…

Salzburger Elegie, möchte man sagen. Aber endlich regnet es, wenigstens für Minuten, und der Himmel entzieht dem Blau den Farbstoff. Ich bin auf der Durchfahrt und hab an sich wenig mit der Stadt zu schaffen heute, aber als Salzburger Staatsbürger (ja, da schauen die Wiener, wie der Wiener am Meldeamt vereinnahmt wird, obwohl bei vielen Einkäufen die Frage kommt: Sind Sie Wiener?). Man kann sich und seinen Dialekt halt nicht ablegen.

Am Morgen gehe ich mit den beiden Hunden meines gastgebenden Freundes durch die Wiesen und Villen am Stadtrand, entlang der Hellbrunner Allee und über die bis in die Universität hineinreichenden Freisaalgründe: ich nenne das, weil es fußläufige Empfehlungen sind. Bei fast jeder Hauseinfahrt eine Tafel: BETRETEN VERBOTEN! DURCHGANG VERBOTEN! EINFAHRT FREIHALTEN, AUCH GEGENÜBER (!, SALATSCHÜSSL FÜR MEINE KUH, KEIN KLO FÜR IHREN HUND,,,): das ist nicht so ungewöhnlich, die harschen Strafandrohungen schon eher, und die Wandersperre für Wiesenquerungen auf schönen Wegen ganz absurd. Salzburg hat 1803 mit dem Ende des liberalen Kirchenstaates (Fürsterzbischof, Primas Germaniae) seine Liberalität abgelegt und wurde ernsthaft konservativ bis ganz braun, konterkariert durch etliche Kulturgrößen, die das 20. Jahrhundert, abschnittweise glänzen ließen. Die so genannten Festspiele sind eine Mischung aus all dem. Und weil mein coming of age mit den Sommern in dieser Stadt ebenso verbunden ist wie spätere Kulturschizophrenie, gehe ich mit größerem Interesse durch die nicht von Touristen- und Parkplatzsuchenden verstopften Bezirke. es ist ja eine der schönsten Städte überhaupt, aber unheimlich durch die Salzburger, die Besucher, die Verunstaltungen (kein Wortspiel, Veranstaltungen gibts angeblich auch woanders).

Warum ich das überhaupt schreibe? weil mich die Verbotstafeln so genervt haben, die hier die Idylle noch mehr stören als anderswo, aggressive Kleinhäusler.

*

Für meine Forschungen zum demnächst erscheinenden Buch über Mythos, Sex und Gewalt, setzt Salzburg sozusagen einen Legendeneintopf frei, aus dem sich Mythen herausfischen lassen, man glaubt gar nicht, wie viele sich da anordnen, als ob die vielen, die meisten Touristen darauf ausrichten. Warum wurden die Protestanten vertrieben? (Potsdam hat davon profitiert. https://www.sn.at/wiki/Protestantenvertreibung#), wie wurde Morat (wieder) zum Mythos (https://mythos-mozart.com/de/ueber-mythos-mozart)? Und wir rechts waren die Salzburger unter Dollfuss und Hitler? Und es ist dieses angeklebte Vergangene, das mich fast überall einholt und zu Salzburg wird es noch Gedanken geben müssen.

Die holen mich jetzt, eine Woche später, in den Bergen, im Ahrntal ein. Aus dem Gastzimmer sieht man auf den Friedhof und den südlichen Kircheneingang einer gotischen Kirche. Der Parkplatz ist vor der Sonntagsmesse ganz voll, und viele gehen, im Regen, an die Familiengräber, Kerzen auswechseln. Kaum jemand bleibt länger als eine halbe Minute, das Ritual ist der Grablichtbesuch vor der Messe.

Das hat mehr mit den Gedanken zur Geschichte von Salzburg zu tun als es den Anschein hat. Südtirol, dieses tirolisch-bairisch-österreichisch-italienische Alpinprezios erlaubt ähnliche Ausflüge in die politischen Kulturabgründe, nicht nur zwischen Italien und Österreich im ersten Krieg und danach, bis Bruno Kreisky die Autonomie über die UNO befestigen konnte. Die nostalgischen Österreicher vergessen ihre imperiale, vielleicht nicht koloniale, Geschichte als Herrschaft über Oberitalien, sie vergessen Bündnisse und Verrate und Niederlagen, die Alpen und der Isonzo, und wie es war, hat Karl Kraus besser als andere in den Letzten Tagen der Menschheit festgehalten, und heute noch findet man aufgetaute Leichen im schmelzenden Marmolada Gletscher. Und die „deutsch-österreichischen, tirolischen“ Terroristen der Nachkriegszeit, Georg Klotz u.a. (https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Klotz) und es hatte seit meiner Schulzeit immer neue Deutungen gegeben, und an der Oberfläche merkt man nichts. Oder doch, dass die Wahlplakate für die fascista Meloni runtergrissen und wieder angeklebt werden. Das Tal war ja auch für die jüdische Geschichte über den amerikanischen Sektor Österreichs für eine kurze Zeit ganz wichtig: https://www.sn.at/wiki/Krimmler_Judenflucht . (warum die Briten und Franzosen die Juden nicht rausgelassen haben…). Über Triest gings dann nach Palästina. An der Oberfläche merkt man nichts. Oder doch, in der Hotelbibliothek, und ab und an eine Gedenktafel, und die SVP (Südtiroler Volkspartei) ist heute nicht so rechtsdeutsch wie die Rechten in Deutschland, man kann die Dolomiten täglichen lesen. Das liegt alles unter den guten Wandertagen hier, unter der guten Kulinarik, der reichhaltigen EU Förderung der autonomen Provinz, unter der Gegenwart.

Es tut gut, sich an das zu erinnern, was in der Kindheit schon zur Erinnerung angeboten und nicht verstanden worden war, einschließlich des ultrakonservativen Andreas Hofer, der sogar dem Kaiser zu radikal war, und einschließlich der Wirklichkeit. Aber wenn man bestimmte Wege geht, ist das nicht nur Erinnerung. Und so gehts mir in Salzburg und in St. Jakob. Eben nicht „überall“.

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