Ich bitte um Entschuldigung, dass ich meine strikte Linie für einmal verlasse, die Kommentare zum Krieg Russlands gegen die Ukraine und gegen die Menschlichkeit nicht kommentiere. Ich habe das u.a. damit begründet, dass die Laienmeinung und die nur sekundäre Betroffenheit nicht ausreichen, um ein unbestimmtes Publikum, also das MAN, zu erreichen. Ich bleibe dabei. Aber ich will einmal auf ein widerborstiges Produkt, zwei Aufsätze in der FAZ am 7.5.2023, vor dem 8. Mai nicht zufällig, reagieren, weil sie mich jenseits des journalistischen Verwehens, beschäftigen. Die Entschuldigung steht trotzdem.
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Zwei lange Aufsätze in der FAZ. Einer, von Schuller, plädiert für eine militärisch gestützte Angriffshaltung gegen Russland, an der nichts falsch ist, außer alles. Es ist schon der Kriegsmodus, den ich vor mehr als einem Jahr als Begriff verwendet habe. Wenn wir da drin sind, dann muss die NATO nicht nur siegen, sondern Russland so be-siegen, dass es nicht in einen Balance Status mit dem Westen eintritt, an dessen Ende dieser Westen ermüdet, wenn er die Ukraine nicht vergisst – ich sage nur Beispiel Afghanistan – und dann wird für viele der Kompromiss“frieden“ mit dem Feind erträglicher als weiter zu rüsten, kämpfen zu lassen, am Ende doch in die nukleare Gegentaktik einzusteigen. Natürlich „wollen wir das nicht“, aber was wollen WIR denn? Nicht bedroht werden. Wenn die Ukraine fällt, werden wir von der neuen Sowjetmacht gekapert. Klar, davor hat man Angst. Schuller argumentiert für eine schnelle Aufnahme in die NATO, sonst wird sie scheitern, an Erdögan, Orban, an uns…Wenn man es nicht schafft, kann es nach den US Wahlen zu spät sein. Schuller argumentiert „alternativlos“. Da geht es nicht um richtig oder falsch. Sondern darum, innerhalb einer bestimmten Ereignis-Wahrscheinlichkeit sich entsprechend zu verhalten. Das ist der „Andere Aggregatzustand“, der nicht als Kriegspartei argumentiert, sondern als Verteidigung vor dem erwartbaren Angriff.
Diese Wahrscheinlichkeit besteht, sie ist nicht alternativlos, die Alternativen sind komplizierter als die Zweilager Vorstellung. Da sich Deutschland, WIR, auf absehbare Zeit aktiv am Waffengang nicht beteiligen kann, unabhängig davon, ob die Mehrheit es will; und da auf die Amerikaner auch vor dem Wiedergänger TrumpII kein Verlass ist, würde ich weniger – nicht nicht – mit NATO argumentieren, sondern mit Europa, der EU, mit uns. Natürlich unter ökonomischen Einbußen, unter schlechteren Bedingungen, uns für eine Einbindung der Ukraine in die EU stark machen und vielleicht einen Ermüdungsfrieden mit den Russen ausschlagen? Vielleiht die soziale und kulturelle Autonomie der EU noch stärker von den ökonomischen Ködern entfernen, vielleicht den unerfreulichen Zusatz einer wirksamen verteidigenden Aufrüstung der Russland-Nachbarn, also mit Ukraine und anderen durchzuführen, aber eben nicht primär NATO Rahmen, mit Faschisten wie Erdögan oder Orban und … im eigenen Gefolge. Das, was Schuller die „Willigen“ nennt, ist mit NATO nicht zu machen. Aber zahlen werden wir müssen, auch aus andern Gründen, das kommt noch, aber jetzt einmal ganz klar. Wenn dies die Wirklichkeitslogik ist, müssen wir selber ran, nicht nur zahlen. Und Verteidigungspolitik muss nicht der Kriegslogik folgen.
Das ist der Ausgangspunkt an einer mäßig beleuchteten Politikanalyse „Frieden um jeden Preis“, in der Oliver Georgi drei pazifistische Argumente zerlegt, die von Thomas Schwörer, Olaf Müller und Margot Käßmann. Das wäre gar nicht schlecht, würde Georgi selbst die Kriegsquantum verlassen und sich ins Friedensquantum einschreiben. Denn dass Schwörers Zersetzungshypothese nur funktionieren kann, wenn man die Russen sozusagen kampflos siegen lässt, ist einleuchtend, aber nicht aus einer Niederlagensicht, die Georgi bei kampfloser Übergabe nicht gelten lässt. Die Einladung zur Eroberung unter gleichzeitiger guerillataktischen Zermürbung? Paralysierung? der Besatzer hat etwas für sich, aber nicht im Rahmen dessen, der sich erst ergibt und dann seine Kräfte anders einsetzt. Es ist niemals gleichgültig, wer wann wofür und wie stirbt, aber dann muss man sich von der Beobachterstelle hinein in die Wirklichkeit der Motive der Opfer begeben; das ist kein Brettspiel.
Ich hatte von anfang an gesagt, dass quasi quantenmechanisch man entweder in der Friedenslogik oder der Kriegslogik argumentieren kann, Kompromiss gibt es nicht. Die Friedenslogik ist nicht notwendig pazifistisch. Aber der Frieden wird nicht allein durch die „Abwesenheit“ von Krieg bzw. sein relatives Herunterfahren auf ein Minimum konkreter Opfer an Menschenleben und menschenwürdigem Dasein definiert. Das ist „eigentlich“ trivial, aber dem Jargon gebe ich mich nicht hin. Mit der pazifistischen Übergabe der Oberfläche und dem Kampf unter machtvollen Decke der Eroberer kann man nur argumentieren, wenn man die Menschen dazu intrinsisch bewegt, und das ginge ja erst, wenn die Russen sofort Kiew und den Großteil des Landes gekapert hätten. Dass sie es nicht konnten, wiewohl gewollt hatten spricht ja für die gewalt- und opferreiche Strategie der Ukrainer, und nicht erst ab 22.2.2022, und nicht erst durch Waffenlieferungen aus den USA und Europa, sondern umgekehrt: dass es diese davor und erst recht danach gab, hat ja die Russen gebremst. Das ist also weder pazifistischer Frieden um jeden Preis, noch Kriegserwiderung, um sich dem stärkeren Putin gleichwertig zu stellen. Eben nicht gleich, anders. Zu werden und zu bleiben. Das müssen auch unsere Militärs lernen?!
Ich kann so nicht denken, darum habe ich der metamilitärischen Kommentare weitgehend enthalten und mache es weiterhin. Dieser Exkurs war eher die Replik auf einer intrakonservatives Gerede. Meine Angst ist eher, dass dieses Gerede ähnlich und unkontrollierbare Wirkungen hat wie die zielgerichtete Desinformation seitens des Kreml – und anderer, ich weiß, meist sind die anders.
Wenn jetzt die Zyniker fragen: und was sagst du, was tun? Dann sage ich, dass wir (jetzt, wann, wenn überhaupt) nicht unser Leben hinhalten, dass wir denen helfen können, die es tun, aber nicht den Diskurs dazu anreichern sollen. Es geht um Haltung, nicht um Stil.
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Georgi macht noch einen sehr komplizierten Haken. Er zitiert Ralf Fücks und Marieluise Beck, die zu Recht auf eine deutsche Besonderheit hinweisen, nämlich so ziemlich alles politische, oder sage ich: wirkliche auf den Nationalsozialismus hin durch das Nadelöhr der unvergänglichen Einmaligkeit zu fädeln (Meine Worte). Und die Ambivalenz, die die Menschen dazu führt, die Angst vor dem Krieg auszuhalten. Nicht schlecht, der Einschub. Er passt nur nicht zur sonstigen Pazifismuskritik von Georgi.
Und ich füge meine schwerlastende Behauptung hinzu, dass wir längst wieder „im Krieg“ sind nur nicht in den Kämpfen, die unmittelbar ums Leben gehen, Leben kosten; nur mittelbar. Oder nicht?
Dass jeder dieser Begriffe eine besondere Bedeutung hat, gilt für alle Begriffe, aber hier besonders. Sagen die Russen „Ave Putin, morituri ter salutant“? Sagen die Ukrainer „Ave Selenskij….?“; und wir, was sagen wir wirklich außer wahlweise Bedauern oder Triumph, als ginge es um Länderspiele.
Die Privatisierung der Kriegsberichterstattung und ihre Umkehrung in Friedensphantasien sind auch nicht ungefährlich. Darum ist die Frage, wie legitim bloße Meinungs-Äußerungen sind. Wen erreicht die Meinung, dass verhandelt werden soll? Wer will mit den Meinungen wen überzeugen?
Ich weiß, das ist keine politische Aussage. Will sie ja nicht sein. Es ist aber eben nicht der Versuch, der eigenen Meinung Gehör zu verschaffen. Es geht mir darum, den möglichen Frieden nicht zu zerreden. Der wird nicht durch Meinungen hergestellt, sondern durch Macht und Gegenmacht, durch Politik. Da ist spannend, welche Rolle ich, wir, in der Politik dieses Kriegs spielen. Das bedeutet, in welche Bereiche unseres Lebens er hineinspielt, ob wir ihn verdrängen, beobachten oder „annehmen“ als die Wirklichkeit, die uns mehr oder weniger von den Überlebensthemen der Menschen ablenkt – Klima, Flucht, Hunger – oder gar erleichtert (wenn wir über den Krieg reden, spielt plötzlich das Klima keine Rolle?).