VORSATZ:
In vielen guten Medien wird die Zeitdiagnose immer drängender unter die Frage gestellt, wie nahe die derzeitige globale Situation und die Wirklichkeit der Lebenswelt in unseren Gesellschaften auf eine Neuauflage faschistischer – ich sage oft: nationalsozialistischer – Strukturen, bzw. ihre zeitgemäße Erneuerung hinausläuft. Die Frage trifft sich mit der Voraussetzung, unter der ich „Finis terrae“ seit zwei Jahren bearbeite. Allerdings habe ich an vielen dieser klugen und ressourcenreichen Artikel eine Kritik zu üben: sie stellen zu sehr als Frage, was als Befund auch gelten kann.
Es ist dies auch das Thema der Dialektik von System und Lebenswelt, und keineswegs nur philosophisch oder sozialwissenschaftlich zu diskutieren. Allerdings, ohne Wissenschaft und Kritik geht’s nicht.
Zur Vorbereitung zwei kurze Texte:
Donald Trump: Das Recht bin ich
Er hat nie etwas anderes gesagt, und nun tut er es auch: Der amerikanische Präsident Donald Trump revolutioniert die Weltordnung. Eine konservative Kaderschmiede, die den Philosophen Leo Strauss verehrt, liefert ihm dafür die passenden Stichworte.
Von Thomas Assheuer
- Mai 2018, 16:59 Uhr Editiert am 21. Mai 2018, 11:06 Uhr DIE ZEIT Nr. 21/2018, 17.
Lest dazu auch: http://michabrumlik.de/zeit-micha-brumlik-gerechtigkeit-fuer-leo-strauss/.
Insofern ein guter Einstieg in meine Frage, weil hier die Quellen bestimmter, immer erst im Nachhinein erkennbarer Strukturen angesprochen werden. Leo Strauss und Claremont sind ein Beispiel. Alle wichtigen Persönlichkeiten, die die Politik und Kultur prägen, haben ihre Quellen, Anreger etc. Aber diese Ursprünge erklären nicht den Wandel auf Systemebene, der so massiv in unsere Lebenswelt eingreift. Dieser Wandel ist fast zu evident, als dass er Erstaunen auslöste:
Institutionen – also regelsetzende und durchsetzende Instanzen – werden durch Personen mit dem Anspruch auf unmittelbare Herrschaft ersetzt.
Das kann als Rahmendefinition aller autoritären und totalitären Systeme gelten, es kommt immer etwas dazu und vieles an den Rändern solcher Systeme ist nicht festgelegt. Aber dass Regeln (à Douglas C. North: Institutionen, hilfreich zu verstehen) außer Kraft gesetzt werden, um einen illegitimen Machtanspruch durchzusetzen, bedarf der Katalysatoren und Verstärker. Wenn ein Nazi-affiner Schreihals von der AfD oder den Reichsbürgern Machtansprüche rausschreit, ist es eine überspitzte Meinungsäußerung. Sie muss auf fruchtbaren Boden fallen, der logisch schon vorher bereitet sein muss. (Nicht die Rhetorik eines Diktators produziert diesen Boden, sondern es sind schon die Leute – Bevölkerung, nicht das legitime „Volk“ i.S. der demokratischen Verfassung – nein, die Leute müssen sich bestätigt fühlen durch die Worte, die ihnen das Denken und die Begriffe austreiben.
Mit Kapitalismuskritik kann man diese weltweiten Zustände und Umstände nur schwer hinreichend erklären. Der Kapitalismus braucht immer beides – die autoritäre Herrschaft und die demokratische Reform, komplex ineinander gewirkt und in diesem Sinn alternativlos.
Auch die andere kritische Erklärungsform – immer neue Auflagen einer Analyse zur geistigen Situation der Zeit (z.B. Karl Jaspers 1931 – immer wieder aufgegriffen: Hg.: Jürgen Habermas Stichworte zur »Geistigen Situation der Zeit« – 1. Band: Nation und Republik. 2. Band: Politik und Kultur, bis hin zu den komplizierten Gegenwartsdiagnosen ernstzunehmender Sozialwissenschaft: Thomas Alkemeyer und andere arbeiten dazu an einem Graduiertenkolleg „Selbstbildungen“ in Oldenburg), auch dieser Zugang analysiert überwiegend eingetretene, wahrnehmbare „Situationen“ und „Konstellationen“, die prognostische Kraft dieser Analysen muss beschränkt bleiben, weil man schwer zugleich von der lebensweltlichen Erscheinungsform und den kaum zu kontrollierenden Dynamiken weltweiter Akteure ausgehen kann, ohne unverständlich zu werden.
(Weil das die Falle ist, die ich mir selbst gestellt habe, breche ich die Einleitung hier ab. Und als Wissenschaftler darf ich sagen, was ich als Politiker oder Diplomat vorsichtiger formulieren würde, aber in der Sache klar):
- Die Widerstandskraft von funktionierenden Demokratien geht allmählich verloren, weil die Demokratie selbst keine erneuernde und ständig sich überholende Wirkung mehr hat. Die Demokratiemüdigkeit ist der Dünger eine angestrebten Verantwortungslosigkeit für die Zukunft, die nähere und gar ferne, weil Verantwortung in diesem Fall bedeutet, unbedingt politisch handeln zu müssen und damit Widerstand zu leisten;
- was mit Einbußen an Lebensqualität, Wohlstand, differenzierten individuellen Lebensumständen und Konflikt verbunden ist, sein muss.
- Über das Widerstandsargument können wir durchaus politische Kollektive herstellen, die sich aber von den romantischeren Vorboten der letzten Jahrzehnte unterscheiden.
Fast alle Demokratien sind gefährdet. In manchen sind Faschisten und Nazis mit an der bürgerlichen Macht beteiligt, aber der Rechtsstaat hält dem noch stand; in anderen gibt es „unwahrscheinliche“ Koalitionen, nur um nicht ganz normal an den defizienten Strukturen jeder Demokratie mitarbeiten zu müssen; wieder andere sind einfach eine Fassade für bestimmte global agierende Machtblöcke und Interessengruppen…Und die meisten Staaten sind keine Demokratien. Das war vor dreißig Jahren vielleicht anders zu erwarten gewesen, aber dann doch wieder gar nicht: warum sollte die erweiterte Freiheit nach 1989 die tatsächlichen Machtgefüge so erschüttern, dass eine wirkliche Erneuerung ohne große Gewalt, ohne große Auseinandersetzungen absehbar gewesen wäre. Das heißt nicht, dass „alles“ schlechter geworden ist. Aber es gibt Erfahrungen, die den kausalen Zusammenhang zwischen besseren Möglichkeiten und ihrer Realisierung bezweifeln lassen: als das Frauenwahlrecht in einigen Ländern eingeführt wurde, hat eine Mehrheit der Frauen die reaktionärsten Kräfte unterstützt (in anderen nicht); wenn es einer Volkswirtschaft erkennbar gut geht, neigen viele Wähler zu radikalisierten Stärkung der Ränder, weil ihnen individuell erst ohne den Armutsdruck auffällt, wieviel sie noch erwarten – das sind die „Abgehängten“.
Die Eingangsthese über die außer Kraft gesetzten Institutionen, um die sich nicht nur die Trump, Putin, Xi, Orban, Kaczinsky, etc. nicht scheren, bedeutet ja, dass wir uns kritisch und widerständig mit diesen Führern auseinander setzen müssen, auch wenn die nicht zugleich alle Institutionen in einem Schwung beseitigen können – meistens. Putin kann das eher als Trump, aber dass die EU das Gesindel in Ungarn, Polen und anderen Ländern freundlich gewähren lässt, ist bedenklich. Habe ich Gesindel gesagt? Ja, wie soll man denn Orban sonst nennen? Rechtsnational, illiberal, autoritär? Kann man. Ich muss mit denen jetzt ja nicht verhandeln.
Aber – da schließe ich an die letzten Blogs an – wir müssen auch überlegen, was wir an unseren Lebenswelten ändern und wo wir aktiv Widerstand leisten. Demokratie ist immer imperfekt und sie kann immer wieder hergestellt werden:
Und das sind keine individuellen Racheakte am Verfall der Sitten (ich kann, als Einzelner, mich weigern, ein bayrisches Amtsgebäude mit einem Kreuz am Haken im Eingangsbereich zu betreten, – aber das bringt nur eine lokale Hypertonie). Das ist Politik, und damit riskant. An den Lebenswelten etwas ändern heißt, Traditionen und Rituale in Frage stellen und ggf. außer Kraft setzen.
Das setze ich in Bezug zu 1968. Damals haben viele von uns geglaubt, der Nazismus käme wieder. Dabei war er noch gar nicht gänzlich verschwunden. Deshalb warne viele unserer Argumente und auch Wahrnehmungen über die Wiederkehr des Schrecklichen falsch oder verbogen. Heute ist der Faschismus, sind die Nazis, da. Ob sie wieder da sind, kann diskutiert werden. Aber sie sind da.
Wir können studieren, wie das mit der Nazipartei vor 1933, vor den Wahlen ab 1928 war…wer hat das vorausgesehen, was nach 1933 kommen würde? Es waren aber weitgehend die gleichen Verbrecher, die schon vorher ihr Aufbauwerk gemacht haben. Auch das Führerprinzip der unterschiedlichen kommunistischen, leninistischen und maoistischen Parteien kann man studieren, bevor diese Personen tatsächliche ihre Macht als Herrschaft ausbauen konnten. Und der Radikalismus der Mitte kann ebenfalls Autoritäre und Diktatoren hervorbringen.
Was wir sofort können ist, uns auf den Widerstand gegen und die Attacken auf die Katalysatoren und Ideenformulierer, auf die Diskursdirigenten der neuen Gewalttäter einstellen und uns entsprechend exponieren. Das ist auch eine persönliche Sache, mit geringem Risiko, aber immerhin: wir werden kenntlich. Das ist ein demokratischer Schritt.