Im Gerichtssaal hängt ein Kreuz. Der Christus darauf trägt einen blau-weissen Lendenschurz und eine Wittelsbacherkrone. Der Staatsanwalt hat eine Anklageschrift verfasst, die sich weitgehend auf öffentlich zugängliche Aussagen, vor allem meine Blogs bezieht; dann aber auch auf Briefe und mitgehörte Gespräche, die natürlich rechtswidrig gespeichert wurden, aber das stört mich angesichts der allgemeinen Überwachungspraxis wenig; schließlich zeigte dieser Vertreter der Anklage, dass er von Ironie und Pathos nichts, von Diskurs und Wirklichkeit nichts versteht, was ihn zu einem prädestinierten Vertreter der Wörtlichkeit geraten ließ. Dies rückte ihn in die Nähe von orthodoxen Monotheisten, denen die Auslegung des einen, einzigen Textes ganz nah am Wortlaut Lebenselixir und Aufgabe ist.
Da stand ich also, und nach Verlesung der Anklage sagte ich, so knapp es ging und alles Weitere dem weiteren Verfahren überlassend:
Herr Richter,
dass sich ein Beschuldigter nach Verlesung der Anklage nicht schuldig bekennen darf und dann in eigener Sache aussagen kann, ist erfreulich. Natürlich bin ich der mir vorgeworfenen Taten nicht schuldig – weder juristisch, noch, was viel wichtiger in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht. Ob ich nun Herrn Seehofers Ehre gekränkt, das Ansehen der CSU Führung geschmäht, die Inlandsgeheimdienste, v.a. den Verfassungsschutz unsachlich herabgesetzt habe, – nichts davon hält stand gegenüber dem Recht eines Wissenschaftlers und politischen Bürgers im Besitz seiner Grundrechte und seiner verfassungsmäßig garantierten Freiheit des Sagens seiner Meinung, darüber hinaus des Sagens von Wahrheit. Deshalb erfolgt so gut wie keine Einlassung auf die Konstruktionen der Anklage, aus dem Strafrecht abzuleiten, was mir zur Last gelegt wird.
Ich habe meine verbalen Attacken auf den Innenminister, die CSU Führung, den bayrischen Ministerpräsidenten und – etwas pauschal – ihre Gefolgschaft zum einen darauf gestützt, dass diese Herrn den Rechtsstaat zu beseitigen im Begriffe sind, bzw. danach streben.
Dass sich Herr Seehofer beleidigt fühlt, nehme ich gerne billigend in Kauf, dass er beleidigt ist, geht auf eine verkümmerte Selbstwahrnehmung zurück. Dass seine Ehre angegriffen wurde, leugne ich hingegen. Ehre ist ein soziales Konstrukt, das niemals objektiv verwendet wird, sondern durch je bestehende Macht oder aber eine Gesetzgebung aus Herrschaftsinteresse pro tempore definiert wird. Hier wie später gestatten Sie mir, Herr Richter, auf die wissenschaftlichen Belege meiner Aussage weitgehend zu verzichten, aber die Nachfrage wird mich hoffentlich als kompetenten Antwortenden herausstellen.
Im Einzelnen werfen Sie, Herr Staatsanwalt, mir vor,
- dass ich Herrn Seehofer einen Fremdgänger genannt habe. Dass sich dieser Begriff keineswegs nur auf körperliche Tätigkeiten außerhalb der Institution Ehe bezieht, kommt der Anklage nicht in den Sinn. Seehofer und Söder gehen, wie andere CSU/CDU Politiker auch, z.B. in Bezug auf Christentum fremd und schaffen staatlich vermittelte Interpretationen einer gewaltsamen unmenschlichen Religion. Sie sind auch Fremdgänger, was ihren Verfassungspatriotismus betrifft. Bayern first ist eine Politik, die zwar Trump vergleichbar, aber ohnmächtig niedrig ist.
- dass ich ihn mit dem amerikanischen Präsidenten Trump verglichen habe, nicht mit dessen Machtfülle, aber mit dem Zustand pathologischer Unzurechnungsfähigkeit im Stadium der Angstblüte; das ist heikel, weil es ja die Verantwortlichkeit des pathologisch Abgeirrten in Frage stellte. Aber ich denke, dass Schuldfähigkeit eingeschränkt, aber nicht ausgeschaltet wird, wenn eine mentale Beschädigung mutwillig nicht behandelt wird;
- dass ich die CSU Führung pauschal mit der NSDAP vor 1933 verglichen habe, oder aber mit rivalisierenden DNVP. Sie werden bei mir niemals einen Vergleich der CSU mit den Nazis nach der Machtergreifung finden, das ist ein wichtiger Aspekt meiner Argumente; die Wissenschaft ist sich nicht einig darüber, ob die Grausamkeiten der Nazis Schritt für Schritt erfolgten oder die Endlösung bereits Programm war. Eine analoge Überlegung in Bezug auf die AfD oder CSU verbietet sich, aber das Hinausschieben der Grenze des Sagbaren zu immer verstiegeneren Argumenten – siehe die 69 Afghanen – legt die erste Interpretation nahe;
- dass ich die prahlerische Aussage Seehofers, an seinem 69. Geburtstag habe er 69 Afghanen abschieben lassen, so verstehe, dass wir darauf dürfen, er werde seinen 70. Geburtstag nicht mehr erleben. Übrigens hat sich einer der jüngst Abgeschobenen nach seiner Ankunft das Leben genommen; als ein anderer, gut integrierter Schüler aus einer bayrischen Schule herausgezerrt wurde, skandierten die Mitschüler „Mörder“. Niedrige Beweggründe, Vorbedacht und besondere Grausamkeit kann man den CSU-Behörden schon vorwerfen, aber es muss nicht immer mit unmittelbarer Todesfolge verbunden sein, was sie tun. Juristisch sind das zunächst keine Mörder, sondern Schreibtischtäter.
69 Menschen wurden vergangene Woche nach Afghanistan abgeschoben. Einer von ihnen ist mittlerweile tot. Die Abgeschobenen werden vor Ort betreut – unter schwierigen Bedingungen.
Von Silke Diettrich, ARD-Studio Neu-Delhi
Acht Jahre lang hatte der junge Mann in Deutschland gelebt, zuletzt in Hamburg. Vergangene Woche war der mehrfach verurteilte Straftäter nach Kabul abgeschoben worden. Dort ist er nun in einem Hotel tot aufgefunden worden. Er habe sich erhängt, sagt Hafiz Miakhil vom Flüchtlingsministerium in Kabul. Mit 68 anderen Abgeschobenen sei der 23-Jährige am 4. Juli in Kabul angekommen, bestätigt Laurence Hart. Er ist der Leiter der Internationalen Organisation für Migration in Kabul.
Seehofer dazu (ARD 11.7.2018):
Ein Afghane wird aus Deutschland abgeschoben und nimmt sich daraufhin das Leben. Innenminister Seehofer wies Forderungen nach seinem Rücktritt zurück. Er war zuvor mit einer Äußerung in die Kritik geraten.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat Rücktrittsforderungen von Linken und FDP nach dem Suizid eines nach Afghanistan abgeschobenen Flüchtlings zurückgewiesen. Er verstehe diese Forderungen überhaupt nicht, sagte er vor Journalisten. Der Bund sei bei der Auswahl der Flüchtlinge für den Abschiebeflug nicht zuständig. „Der Flüchtling wurde uns von der Hansestadt Hamburg gemeldet“, so Seehofer.
Seehofer hatte am Dienstag verkündet, am 4. Juli – dem Tag seines 69. Geburtstages – seien 69 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben worden. „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden“, sagte der CSU-Chef. „Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“
„Rücktritt überfällig“
Einer der 69 Flüchtlinge nahm sich in Kabul das Leben. Wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, wurde der Mann leblos in einer Zwischenunterkunft in Kabul aufgefunden.
Seehofer sagte dazu: „Das ist zutiefst bedauerlich und wir sollten damit auch sachlich und rücksichtsvoll umgehen.“ Seine Wortwahl bedauerte er jedoch auch nach dem Tod des Afghanen nicht: „Das wusste ich gestern nicht. Das ist heute in der Früh bekannt geworden“, sagte er. „Wie das Leben oft so spielt. Hab sogar noch dazu gesagt: Nicht organisiert. Und dann wird da etwas draus gemacht.“
(Das Gericht hat diese Passage nicht angenommen, weil meine Kritik an Seehofer ja vor dieser 69er Panne geschrieben wurde:)
In der Liste der Anklagepunkte sind meine unterstellten Tötungsabsichten der Innenpolitiker und Sicherheitsorgane natürlich prominent.
- dass ich Seehofer, schon wie vor ihm de Maizière und mit ihm etliche andere Amtsträger unmenschlicher Verdinglichung von Flüchtlingen, Asylsuchenden, Verfolgten geziehen habe, die billigend den Tod dieser Menschen in Kauf nehmen, um ihre Vorstellung von Recht und Ordnung durchzusetzen. Diese Vorstellung widerspricht schlicht der Verfassung einer demokratischen Republik; nicht nur der Bundespräsident hat auf die Verrohung der Sprache hingewiesen, am Beispiel des Asyltourismus (Herr Dobrindt, Frau Klöckner) wird eine erschreckende Unmenschlichkeit zur Maxime staatlichen Handelns;
- dass ich, in anderem Kontext, den Verfassungsschutz teilweise als Vorfeld nationalsozialistischer Bewegungen im Lande bezeichnet habe, wobei ich auf das teilweise größten Wert lege. Jedenfalls kann man hier die Erkenntnisse des NSU Prozesses zu einem nachgetragenen Beleg angeben (vgl. dazu Prof. Funke, FU Berlin, DLF 11.7.2018 und Hintergrund, gleiches Datum 19.20); die Sicherheitsorgane haben die Opfer verdächtigt und mit den Tätern gemeinsame Sache gemacht. Das geht im Prozess zum NSU weitgehend unter; warten wir den Wortlaut des Urteils ab;
- Dass ich den Kreuzerlass des Bayrischen Ministerpräsidenten Söder für blasphemisch halte. Das ist mir so wichtig, weil mein Respekt vor dem Glauben und der Glaubensfreiheit keineswegs den Religionen und der Religionsausübung gleichermaßen gilt. Die Aneignung des Christentums als private Verfügungsmasse eines Wahlkampfes ist jedenfalls, wie von mir behauptet, im Sinne des Christentums blasphemisch – mir kann es egal sein, welche Sekte sich wie verhält;
Ob diese Aussagen strafwürdig sind, interessiert mich nur am Rande. Widerstand gegen diese Politik und damit einen der Mitverantwortlichen mit den Mitteln des Rechtsstaats ist allemal angesagt. Dass dieser Widerstand hoffentlich gewaltfrei erfolgen kann, hoffe ich sehr. Wenn aber der Innenminister und seine Gefolgschaft versuchen, den legitimen Widerstand gegen die Abschaffung dieses Rechtsstaats selbst zu kriminalisieren oder gewaltsam zu ersticken, bleibt die Wahl der Mittel offen.
Dass Seehofer für sein ministerielles Privatpapier (sein Masterplan ist KEIN Regierungspapier) Beifall von der AfD findet, verwundert nicht. Dass er auf eigene Faust Außenpolitik macht (am 11.7. in Innsbruck u.a. wegen Flüchtlingsrücknahme und gegenüber London zur Verteidigungspolitik, gestatten ihm die Kabinettsmitglieder nur wegen seiner bereits offenkundigen Unzurechnungsfähigkeit…man distanziert sich eben nur milde von einem Angstblütler). Solche Eskapaden beunruhigen nicht, wenn und solange die Demokratie gefestigt ist, selbst wenn ihre Gegner sie einschränken oder gefährden wollen. (Aber es ist Anlass, sich für sein Land so ganz allgemein zu schämen).
Wie auch immer Sie befinden, ich werde es mir ruhig und respektvoll anhören. Allerdings werde ich darauf bestehen, faktische und dokumentarische Unterlagen zu all meinen Aussagen beizubringen sowie das, was meiner wissenschaftlichen Überzeugung bzw. Recherche entspringt, nicht verbal in dem Sinne zu mäßigen, der in einem politischen Prozess vor Jahrzehnten von Richter Groschupf am Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Disziplinarkammer) geäußert wurde: mehrfach wird das Verständnis gelenkt auf die „Sicht eines unbefangenen sorgfältigen Durchschnittslesers“ (Prozess gegen Peter Brückner nach der Mescalero-Affäre 1977). Was dieser Leser wiederum versteht, interpretiert das Gericht. Und das konstruiert die Verfassungsfeindlichkeit u.a. aus einem Verstoß gegen die Mäßigungspflicht. Wissenschaft sollte weder auftrumpfen noch sich mäßigen. Und den unbefangenen sorgfältigen Durchschnittsleser gibt es nachweislich nicht. So wenig, wie es den illegalen Flüchtling gibt.
Ich bitte um kein mildes Urteil und um kein gerechtes Urteil, sondern darum, dass es keines gibt.
Der Richter schaut nach oben, zum bayrischen Kreuz.
Der Staatsanwalt wetzt unruhig auf seinem Stuhl.
Ich spüre meine Fußfesseln und Handschellen.
*
Ich erwache aus einem sarkastischen Albtraum und freue mich darüber, dass die bundesdeutsche, aber niemals die bayrische Justiz für mich zuständig sein wird. Aber dann, so richtig wach, stelle ich fest, der Albtraum geht weiter. Was als Schlaf begonnen hatte, setzt sich als Wachtraum fort. Man fasst es nicht, ich fasse es nicht.
In der Psychoanalyse lernt man, dass jeder Traum auch mindestens einen Wunsch beinhaltet. Nicht so schwierig in diesem Fall? Doch. Weil der Übergang zum Tagtraum, zum Schlafwandeln im politischen Raum lässt Wünsche ja sinnlos äußern, ohne Hoffnung, Ernst genommen zu werden. Nochmals erwachen, das wäre es. Weiter wach sein. Aber dann wird die Konfrontation unvermeidlich. Ist sie ja schon.