Gut gestorben?

Vor Jahrzehnten, auf einer hochgelegenen Berghütte, plärrte das Radio, und verkündete den Tod von Herbert von Karajan (1908-1989). Ich erinnere mich, dass ich spontan sagte: Gott sei Dank. Laut, deutlich. Meine Begleiterin und einige Gäste starrten mich entsetzt, dann feindselig an. Mit einigen kam ich in eine Diskussion, und rechtfertigte meinen spontanen Ausbruch.

Karajan war ein Feind. Da ich auch familiäre Gründe hatte, ihn nicht zu mögen, zählten die die musikalische Größe und sein Ruhm als Dirigent und Festspielmaestro wenig.  Ich werde auch heute zu seiner von mir wenig geschätzten Kunst nichts sagen, obwohl ich mir da einiges Urteil zutraue. Ich würde überlegt, prämeditiert, niemandes Tod öffentlich so „begrüßen“, auch wenn mich dieses Ereignis, wenn schon nicht freut, so doch nichts bedauern lässt. Ist das richtig, moralisch wodurch gerechtfertigt, wo ist die Wahrheit?

Umweg. Immer wieder zitiere ich meinen Grundsatz – Es gibt keinen Tod, es gibt nur mich der stirbt (André Malraux).

Darin ist meisterhaft knapp die Tatsache festgeschrieben, dass der Tod eine Konstruktion ist. Geboren werden, leben, sterben ist wirklich.

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Attentate: bei welchen Attentaten reagieren wir mit Erleichterung, Sympathie, Abscheu, Gleichgültigkeit? Hier geht es um Tod, nicht darum, wie sich die letzten Augenblicke des Getöteten (also Gestorbenen) auf dieser Erde gestalten. Dieser Gedanken sind so wenig trivial, wie die aus dem Unbewussten ins Bewusste drängenden Wünsche, dass ein bestimmter Mensch sterben möge – um seinem Wirken ein Ende zu setzen, vom Tyrannenmord bis zum Widersacher aus Eifersucht.

Es handelt sich um psychische Emanationen, die sich, weil spontan und aus dem Unbewussten, nicht sofort um die Folgen eines gelungenen Attentats kümmern (können).  Wenn das zeitnah nachgeholt wird, tritt die Überlegung in eine andere gedankliche und politische Sphäre: was wäre, wenn … die Namen, die einem spontan einfallen, werden gereiht, in eine variable Hierarchie eingebracht, je nachdem, welche Information uns gerade aufregt. Ein Übeltäter in einer Demokratie, ein Gefährder unserer politischen Überzeugungen, nötigt uns andere Überlegungen auf, Trump oder Orban eher als Putin oder Xi (denn in einer Diktatur sind Attentate kein Anlass zu einem Systemwechsel). In einer Demokratie wird der meist charismatische Führer  ersetzt, fast wie durch die nachwachsenden Köpfe der lernäischen Hydra. Also braucht man sie nicht gleich beseitigen… Ja, wenn das alles so einfach wäre.

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Der Todeskult erzeugt Märtyrer oder eine schreckliche Erinnerungskultur; das kann man gut in Polen beobachten, aber auch bei uns, und nicht nur am „rechten“ Flügel. Todeskult („Patria o muerte“, zum Beispiel), ersetzt die Empathie und das Mitleid mit dem Sterben, mit dem unzeitigen Ableben von Menschen durch eine Zeitlosigkeit, die die Todeskonstruktionen zu einem wichtigen Instrument totalitärer Herrschaft machen. Denkmäler, Schulbücher, Schutz der als „heimatlich“ geprägten Gedenkpolitik. Auch ohne Attentat sterben Menschen oft gewaltsam. Aber die erzwungene Abdankung durch ein Attentat, durch Folter, oder durch Absaufen lassen im Mittelmeer, ist Teil einer Politik, die die Todeskonstruktion einer lebensnahen Praxis vorzieht.

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Auf den Tod des Generalbundesanwalts Siegfried Buback schreibt mein Freund Erich Fried: zitiert in einer langen Kritik von Walter Hinderer an Kritiker Sepp Binder gegen Erich Fried:

Der für den Zusammenhang entscheidende Kommentar steht in der sechsten Strophe: „Sein Tod wird helfen / das Denken / auf ihn abzulenken / und so zu verdecken das Unrecht / von dem dieser Mensch / nur ein Teil war / Schon darum / kann ich nicht ja sagen / zu seinem Tod / vor dem mir fast so sehr graut / wie vor seinem Leben.“ Diese dialektisch formulierte Aussage variiert die siebte und letzte Strophe: „Es wäre besser gewesen / so ein Mensch / wäre nicht so gestorben / Es wäre besser gewesen / ein Mensch / hätte nicht so gelebt.“

https://www.zeit.de/1980/51/von-der-unfaehigkeit-zu-lesen

Mir ist wichtig, auch mich daran zu erinnern, dass die Schmähkritik an Fried ihm unterstellte, er hätte geschrieben: „Es wäre besser gewesen / so ein Mensch / hätte nicht gelebt“. Der Kalauer lag den Fried-Gegnern, und nicht nur ihnen auf der Zunge. So ein Satz erinnert an die Folgen des spontanen Ausrufs: „Sieh da, sieh da, Timotheus, /die Kraniche des Ibykus“, nur eben in einem anderen Kontext. Fried soll einer Täterschaft geziehen werden, die er einem Toten nicht, sondern seinen Mördern nur teilweise zuspricht. Und noch etwas: vor dem Leben eines anderen Menschen darf, kann einem immer grauen; besser, man überlegt sich eine Rechtfertigung dazu.

Nur mit der Todeskonstruktion kann man so umgehen, der Vorgang des Sterbens, des das Leben Aushauchens, des Übergangs aus dem Leben, lässt sich so nicht fassen. Wo Tod gesagt wird, ist es nicht politisch, oder nur, wie ein Bild oder ein Gedicht politisch sein kann; Sterben ist dann politisch, wenn es durch Unrecht und zur Unzeit geschieht. Auch sterben lassen, im Mittelmeer, durch Hunger, Verdursten, durch Waffenlieferungen und unterlassene Hilfeleistung, ist politisch.

(Das müssen nicht nur klassische Schreibtischtäter sein.)

Wenn ein verhasster Mensch stirbt, löst das andere Gefühle aus als wenn ein geliebter oder geschätzter Mensch stirbt, jedenfalls, wenn er einem etwas sagt. Die meisten sterben, ohne uns irgendetwas zu sagen, und wir finden sie bestenfalls in den Statistiken wieder, die allerdings Auskunft geben über viele, die wir in die Todesursachen involviert sehen. So schließt sich ein Kreis, nur sage ich heute nicht mehr Gottseidank, oder vielleicht doch, wenn es aus dem Unbewussten kommt. Nur, mit dem kann man die Welt schlecht verändern.

 

 

 

 

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