A:E:I:O:U zum Zweiten

Vor längerer Zeit hatte ich einen Blog AEIOU, Austria erit in orbe ultimo, und einige Sottisen. Heute fällt mir dazu nur der Kalauer ein „allen Ernstes ist Österreich unerträglich“, was auch blödsinnig ist.

Als Doppelstaatsbürger hab ichs leicht: sind die Österreicher blöder, dann freu ich mich, Deutscher zu sein, sinds die Deutschen, dann umgekehrt: ich bin ja Österreicher, gar Wiener. Man kann ganze Heimatdiskurse mit so einer Doppelmühle zerstören.

Aber ganz so einfach ist es nicht. Bis auf gewisse sprachliche Nähe (85% des relevanten Vokabulars, aber 15% der wichtigen Dinge: Essen, Sex, Flüche sind eben doch verschieden) sind die beiden Ethnien (abgesehen davon, dass Österreich keine Ethnie ist wie die Deutschen, und der Migrationsanteil bei beiden zwar groß, aber unterschiedlich integrierbar ist) – von Völkern kann man ja bei beiden nicht so unbefangen reden – doch recht unterschiedlich. Eine Analogie z.B. zwischen den Monstren Seehofer, Maas, Scheuer….und den Monstren Kurz, Nehammer, Blümel…ist gar nicht so leicht herzustellen, weil die Monstrositäten durchaus schwer zu vergleichen sind. Das liegt an der objektiven relativen Bedeutungslosigkeit Österreichs in der globalen Politik, verglichen mit der selbstverschuldeten Bedeutungslosigkeit der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt. Das liegt auch daran, dass unsere Kulturen, unsere Sozialsysteme, unsere Landschaften, nicht zuletzt die Medien, schwer zu vergleichen sind…darüber wird ja jetzt jeden Tag berichtet. Übrigens ist die Süddeutsche das Brückenmedium zu Österreich, wen es wirklich interessiert.

In den letzten Tagen sticht Kurz mit seinen Finten die Hampelei der CDU und das Sondierungstheater aus. Niemand erwartet, dass Schallenberg die politische Richtung seiner Partei und eines Teils der Regierung auch nur einen Millimeter weit liberaler oder humanitärer macht. Aber er überschreitet auch die Grenze sowohl des Strafrechts als auch des Parteienpragmatismus nicht, da können die Grünen nur hoffen. Trotzdem geschieht in Wien, was Europa mindestens so schadet wie die deutsche Führungslosigkeit und der klerikofaschistische Angriff auf Europa durch PIS und der faschistische durch Orban und Bulgariens Weigerung gegen eine EU Erweiterung … Warum? So unwichtig ist Österreich nicht, wegen seines Reichtums, wegen seiner Lage zwischen den Blöcken. Machen wir uns nichts vor, die Blöcke gibt’s ja, und was der ehemalige kommunistische Block war, hat bis heute ein ganz anderes Europa im Sinn als der ehemalige Westen und der Süden. (Nur wird das in edler Sprache und sensibel abgehandelt, nicht so ranzig, wie ichs grad mache…es regt mich ja doch auf).

Österreich ist anders, aber anders als wer oder was? (Ich erspare euch meine nur scheinbar überhebliche Bemerkung, was Kultur, Sozialpolitik und die Bundesbahnen betrifft…). Österreich hat eine ganz andere Erinnerungskultur, meist eine Unkultur, und eine viel stärkere Trennung von Politik und subjektiven Selbstverortungen – das hat geholfen, manchmal gegen die Nazis von der FPÖ, manchmal gegen Übergriffe der Rechte, oft aber auch nicht geholfen, wenn alle hereingeholt (Kreisky/Peters, Waldheim, Kurz/Strache etc.) wurden, in ein Boot, das statt auf einem Weltmeer auf einer Bühne gerudert wird).

Was es gegen und zu Kurz zu sagen gibt, hat Heribert Prantl von der SZ Zusammengefasst. https://www.sueddeutsche.de/meinung/prantls-blick-kurz-oesterreich-1.5435597?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE (10.10.21). Ich sag dazu nichts, auch nichts aus der tiefgestaffelten Personalverklumpung aller drei großen Parteien. Lass mal die Grünen und die NEOs draussen…

Mir geht es um ganz was anderes: mein Mühlespiel – einmal sind die Deutschen korrupter, unfähiger etc., dann wieder die Österreicher, ist ja nur oberflächlich. In diesen Tagen bewegt mich der unendliche Stillstand in einer scheinbaren Krise, die keine ist, und für die Lampedusas Satz gilt, dass man die Dinge ändern müsse, damit sie die gleichen bleiben. Noch nicht einmal der Austausch von Personen bedeutet innerhalb eines „Systems“ etwas Grundlegendes, wie der neue Kanzler bei seiner Angelobung schon verkündete…

Mir geht es an die Nieren, mein Herkunftsland, das ja so wenig Heimat sein kann wie Deutschland, so beschreiben zu müssen, dass es in deutschen Ohren oft wie Verteidigung klingt, wenn fast das Gegenteil gemeint ist – dann müsste ich die deutsche Vergleichsvariante hervorholen, die Duldung von Mafia und Finanzkriminalität, die Mitschuld am Kriegsgeschehen in Afghanistan und die Opferung tausender Ortskräfte, die schräge Rolle im EU Einigungsprozess z.B. gegen Macron, usw. Das aber wäre Aufrechnen unter Vergleichbaren, und dann steht Deutschland schlechter da, weil mächtiger, und mein Österreich wäre eine wohlhabende Bananenrepublik. Ist es aber nicht, es ist die Herrschaft einer gesellschaftlichen Zerklüftung, die bis auf die Gründung der kaum überlebensfähigen Republik 1918 zurückgeht.

Mein Leitwerk war seit mehr als 5 Jahrzehnten Karl Kraus‘ „Letzte Tage der Menschheit“ (1926), aus dem ich bis heute Analogien und fortdauernde Verhaltensweisen ableiten kann…und jetzt einmal nicht zitiere. Was er an der österreichischen Gesellschaft beschreibt, ist das Gegenteil des Strebens nach Eindeutigkeit – kulturell, sozial, religiös, diskursiv. Man hat das Gefühl, es gäbe keine „Politik“ in Österreich. Das stimmt real natürlich nicht, hat auch nie so gestimmt, aber es wird bis heute oft so empfunden, weil das Politische zerlegt wird in die Mosaiksteine der Gruppen, die eben nicht sich an einer Ethnie, einer Ideologie ausrichten. Bis auf die jeweils echten Faschisten haben fast alle politischen Personen ihre schizophrenen Mehrfach-Zugehörigkeiten, die natürlich von der Kritik erkannt werden, oft ausgeschlachtet, oft aber hingenommen. Die Kritik ist übrigens seltsam intakt, in vielen Medien, in Kunst und Literatur (ich empfinde sie schärfer und tiefergehend als in Deutschland, aber oft ohne unmittelbare Wirkung – jetzt sind wir in der Gegenwart). Was da an Kurz kritisiert wird, ist arg, aber natürlich keine Staatskrise. Die gibt es schon längst woanders, etwa in der österreichischen Führungsrolle der EU-Feinde in Visegrad-Gruppe und in der Flüchtlingspolitik. Nein, die Kritik arbeitet sich oft auch ab an der nichtkritisierbaren Vielfalt des Objekts, in der Betäubungspolitik gegenüber den vielen, mittlerweile hingenommenen Vergangenheiten. Vieles an dieser Vielfalt war und ist ja vielleicht besser als anderswo, von der Wiener Wohnbaupolitik bis hin zu Vermittlerrollen in internationalen Konflikten und mehr Freiheit für die Kunst als in den meisten europäischen Ländern. Aber es bleibt beim Pluralismus der Mosaiksteinchen des zerbrochenen Spiegels.

Die Grünen sind in der Tat ein Keil in diesem Gewölle. Sie haben sich sozusagen Reforminseln erarbeitet, da geht es voran, aber es sind Inseln. (Dass sie das können, liegt an der Parteienautonomie eines Regierungssystems, wo die einen dies, die andern etwas anderes tun können, ja „dürfen“, solange sie sich gegenseitig nicht dreinreden…). Über den Unterschied wird in den Vergleichen kaum geredet.

Was mich jetzt umtreibt, ist auch ein Frust, dass ich mich nicht „richtig“ dem äußern kann, was ich wie in einer Kristallkugel sehr genau sehe und meine zu verstehen. Mich bewegt, als ein Beispiel, die nicht aufgearbeitete Folge zweier antagonistischer Faschismen (1933-1938, 1938-1945), die hingenommenen und wirksamen Reformen gegen die Folgen, und das ganz und gar nach Innen gerichtete Symptom der Selbstbeschäftigung. Meine These kennt ihr, dass Österreich ja seine Kolonien nie Übersee, sondern an den Bahnlinien hatte und deshalb sich ein Überschuss an Überbau in die Literatur, die Psychoanalyse, die Kunst hat eindrängen lassen – DA ist wirklich ein Unterschied – und eine „andere“ Form mitteleuropäischer Verarbeitung, d.i. Gegenwartsbewältigung, hervorgebracht hat. Zum Beispiel einmal den großartigen Bruno Kreisky, zum Beispiel Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek, zum Beispiel einen Bundespräsidenten van der Bellen, der deshalb zum Land passt, weil er überhaupt nicht in diesem beschriebenen Gewölle von Uneindeutigkeiten verfangen ist, und deshalb einen weiteren, diesmal guten Splitter darstellt (wir hatten auch einen antisemitischen sozialistischen Bundespräsidenten (https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Renner) , der natürlich auch noch denkmalig erinnert wird.

Wenn ich in mein wirklich geliebtes Wien komme, bin ich immer „freier“ als anderswo, aber ich kann nicht genau beschreiben, was diese Insel, neben anderen im Land – siehe oben – so am Leben erhält, dass ich mir von Herzen ein Ende der Ära Kurz mit allen Anhängseln wünsche, nicht ahnend, was dann kommt. Vielleicht kanns ich erlesen und erschauen und erhören…

Ernst Jandl „Wir wurschteln, wir wurschteln immer weida…“ (Requiem).

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